Lex Luger Interview

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Synthesize Me

Drei Songs regierten den amerikanischen Radiosommer von 2010. Sie basierten auf drei fast identisch konstruierten Beats, die den 19-jährigen Lex Luger ad hoc zum gefragtesten Producer der Südstaaten machten: „B.M.F.“ und „MC Hammer“ von Rick Ross sowie „Hard In The Paint“ von Atlantas Senkrechtstarter Waka Flocka Flame. Von Jay-Z bis Kanye West wollten sofort alle ein Stück jugendlichen Fame abgreifen und Luger zu Studiosessions nach Miami und Hawaii einfliegen. Nun steht der aus Virginia stammende, in Atlanta wohnhafte Produzent an der Schwelle zum exklusiven Club der echten Pop-Größen: Rihanna, Beyoncé und Ne-Yo sollen angeklopft haben.

Mit dem originalen Lex Luger, dem ehemaligen Footballstar und Profi-Wrestler, hat der gerade eben erst volljährige Beatschrauber wenig gemeinsam. Der Spitzname leitet sich von seinem bürgerlichen Namen Lexus A. Lewis ab, seine Einflüsse bezieht er von den Großen seiner Zunft: Namen wie Pharrell, Kanye, Dre, Dilla, Timbaland und Pete Rock fallen in seiner MySpace-Biografie, doch viel direkter scheinen die Parallelen zu lokalen Vorbildern wie Shawty Redd, Drumma Boy oder The Runners. Seine drei großen Hits des Jahres 2010 basieren auf relativ simplen, aber um so effektiveren Synthie-Melodiefiguren und typischem Südstaaten-Drumprogramming mit aufwendigen Hi-Hat-Figuren und tiefen Sub-Bässen. Lex Luger macht den Sound für die Clubparkplätze und die Barbershops. Echte Hood-Musik – unangepasst, unprätentiös und unbedingt hörenswert.

Nun ist Suffolk, eine 80.000-Einwohner-Stadt in Virginia, nicht gerade der Nabel der Welt. Immerhin befanden sich in Lex Lugers Familie reichlich Hobbymusiker: Sein Vater spielte am liebsten Schlagzeug und hörte Jackson 5 oder Marvin Gaye, als Vierjähriger sah Luger bereits seinem Onkel Darren „Chum“ Lewis beim Beatbasteln an der MPC zu. Zehn Jahre später experimentierte er selbst mit Drum-Machines und PC-Software, nebenher spielte er Schlagzeug in der Kirchengruppe. In Sachen HipHop wurde er vor allem mit Westcoast-Rap angefixt: N.W.A., Dr. Dre und Snoop waren seine Helden, doch bis er selbst auf seinen ganz persönlichen Snoop treffen sollte, sollte noch einige Zeit vergehen.

Erst vor rund zwei Jahren fühlte sich Luger langsam reif, seine Musik mit der Öffentlichkeit zu teilen. „Ich hatte viele Beats, war extrem hungrig und schrieb verschiedene Künstler über MySpace an. Waka Flocka Flame war der Einzige, der mir antwortete“, berichtet er. „Ich schickte ihm alle paar Tage 20 oder 30 Beats. Als er mir den ersten Verse von ‘Hard In The Paint’ zurückschickte, war das ein magischer Moment.“ Die Beziehung zu Flocka wurde mit der Zeit enger, und als dieser erste nationale Erfolge mit seinem Hit „O Let’s Do It“ feierte, kaufte er das alte Haus seines Mentors Gucci Mane in Atlanta, um dort im Keller ein Studio einzurichten. Luger packte die Gelegenheit beim Schopf, verließ die High School und zog mit Sack und Pack in das Haus ein. “Gucci hatte das ganze Equipment von Zaytoven im Haus gelassen: große Yamaha-Studio-boxen, einen Mixer, eine MPC, verschiedene Roland-Keyboards. Aber ich brauchte das alles gar nicht. Ich brauche nur meinen Laptop mit Fruity Loops und meine Kopfhörer. Ich hing wochenlang im Haus, baute Beats und rauchte Joints mit Wakas kleinem Bruder KO und meinem Partner Southside.”

Dank der Verbindung zu Waka Flocka kam es ganz natürlich, dass sich dessen ­Mutter Debra Antney bald um die geschäftlichen Geschicke des neuen Camp-Zöglings kümmerte. Mit ihrer Firma Mizay Ent. zählte sie neben ihrem eigenen Sprössling bis vor einigen Monaten auch noch Gucci Mane und Nicki Minaj zu ihren Kunden, Luger wurde schnell zum In-House-Producer der 1017 Brick Squad, zu der neben Gucci und Flocka auch noch OJ Da Juiceman, Frenchie und Wooh Da Kid gehören. Er platzierte Beats bei Künstlern wie Ace Boon Koon, Juney Boomdata, Gorilla Zoe oder Lil Scrappy, vor allem jedoch arbeitete er an Wakas Debütalbum „Flockaveli“, das Anfang Oktober auf einem respektablen sechsten Platz in den Billboards einstieg und über 30.000 Einheiten in der ersten Woche absetzen konnte. Elf der 17 Stücke darauf stammen aus Lugers Feder – eine Konstellation „wie damals bei Snoop und Dre“.

Mit seinen 19 Jahren arbeitet Flocka nun als Vollzeit-Musikproduzent. In der Kategorie „Producer Of The Year“ war er bei den BET HipHop Awards neben Drumma Boy, Swizz Beatz, Polow Da Don und Boi-1da nominiert. Im Sommer hatten drei seiner Produktionen den Markt dominiert, ohne dass er sie bewusst Main­stream-tauglich konzipiert hätte. „Ich habe diese Beats nicht fürs Radio oder fürs Fernsehen produziert. Ich hätte auch nie gedacht, dass die so was spielen würden. Dann stellte sich heraus, dass sie total auf meinen Style abfahren. Mein Glück.“ Lex Luger lacht. Seine Unbekümmertheit ist auch sein Kapital. Auf seiner MySpace-Seite gibt er immer noch bereitwillig seine persönliche E-Mail-Adresse heraus, Preise für Beats will er allerdings nicht mehr nennen und verweist auf seine Managerin. Sie dürften seit dem Sommer um ein Vielfaches gestiegen sein. Jeder will sein eigenes „Hard In The Paint“.

Der bislang größte Hit von Waka Flocka Flame war bereits Ende 2009 auf diversen Mixtapes erschienen, entwickelte sich jedoch bis zum Sommer 2010 von einer Straßenhymne zu einem echten Crossover-Hit. Flocka unterschrieb einen Deal und wurde zu einem der umstrittensten Shootingstars des Jahres. Dank „Hard In The Paint“ bekam auch Luger neue Placements. „Rick Ross war im Club Central Station in Atlanta, wo ein paar Jungs den Track draußen im Auto pumpten. Das war, bevor der Song groß im Radio wurde, damals war es noch ein reines Straßending. Ross wollte herausfinden, wer den Song produziert hat, und schrieb mich auf Twitter an. Ich schickte ihm einen Batzen Beats, darunter eben auch ‘B.M.F.’ und ‘MC Hammer’. Die fertigen Songs hörte ich dann zum ersten Mal im Radio, nachdem mich Freunde darauf angesprochen hatten.“

Wann immer man in den letzten Monaten Hot97 einschaltete, wurden einem die beiden Tracks in den Gehörgang gepresst. Hipster, Street-Kids und Rap-Fans konnten sich zumindest auf „Hard In The Paint“ einigen. Kein Wunder, dass bald die großen Namen des Spiels anklopften. „Plötzlich wollten sie alle Studiozeit mit mir reservieren: Soulja Boy, Diddy, Pusha T, lacht Luger. „Sogar Jay-Z meinte, er bräuchte so einen Beat wie ‘B.M.F’. Als ich neulich in Miami war, kam Rihanna vorbei. Sie liebt meine Beats. Ich habe eben einen neuen Sound.“ Nicht zuletzt ließ ihn auch ­Kanye West während der Arbeit an seinem „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“-Album nach Hawaii einfliegen, um von seiner Kreativität zu profitieren – im Tracklisting findet sich nun ein Bonusstück namens „See Me Now“ mit Beyoncé Knowles und Charlie Wilson, das von Kanye, No I.D. und Lex Luger koproduziert wurde. „Kanye ist ein Perfektionist. Er will seine Musik immer auf das nächste Level bringen. Das habe ich erst so richtig verstanden, als ich mit ihm arbeitete“, erzählt Luger. „Kanye kümmert sich nicht darum, was das Radio will oder was die anderen machen. Er will immer etwas Besonderes erschaffen.“

In ihrer Unangepasstheit und ihrem Glauben an die eigene Kunst ähneln sich der junge Mr. Lewis und der nicht mehr ganz so junge Mr. West. Auch Lex Luger musste zu Beginn seiner Karriere mit Zweifeln an seinem Potenzial leben. „Manche sagen, mein Style sei zu einseitig, aber ich kann auch Tracks für R&B-Artists machen. Ich habe sogar Beats, die zu Britney Spears oder Ne-Yo passen könnten. Dennoch mache ich in erster Linie Gangsta-Beats. Mein Sound war schon früher so hart, dass viele meinten, damit lasse sich kein Geld verdienen. Sie prophezeiten mir, ich würde immer nur für die Straßen produzieren. Seit ‘B.M.F.’ und ‘MC Hammer’ sehen das alle ein wenig anders. Und das, obwohl ich jetzt keinen kommerzielleren Sound habe. Es ist offensichtlich einfach so, dass sich die Zeiten geändert haben.“

Text: Stephan Szillus/Interview: Epée Hervé
Foto: Cristofer Schafer

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