Saigon Interview

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Die größte Geschichte hatte er nie, vielmehr avancierte sein Debütalbum zur ­größten selbsterfüllenden Prophezeiung des Spiels. Es ist sechs Jahre her, seit Saigon erstmals den baldigen Release seines Debütalbums »The Greatest Story Never Told« ankündigte. Die Zeit schien perfekt. Mit einem Vertrag bei Just Blazes Fort Knocks Entertainment und dem Major-Muskel von Atlantic war das Industriefundament gegossen, die Sehnsucht der ­Szene nach einer neuen Eastcoast-Leitfigur bündelte sich in der Person des Skills-­Monsters Saigon.

Die geplatzte New New York-Blase erwischte den Rapper jedoch mit voller Wucht. Und die Industrie entpuppte sich als die Hure, die sie schon immer war. Saigon fehlte der Hit und Just Blaze die Clearances für seine Beat-Steilvorlagen. Zudem manövrierte sich der renitente Ghettojunge Saigon mit so großem Vorstrafenregister wie ungehaltenem Ego ein ums andere Mal in brenzlige Situationen, die ihn fast Kopf und Kragen kosteten. Knastaufenthalte, Messerstechereien, Mobb Deep-Beef und kurzweilige Sticheleien mit seinem, wie es schien, einzigen Freund Just Blaze ließen eine heile Welt – sofern es die jemals für ihn gab – in den Folgejahren in Rauch aufgehen. Saigon war zum sprichwörtlichen Produkt seiner Umwelt geworden: die Hände gebunden, die Perspektiven entzogen und ohne große Aussicht, sich selbst aus der misslichen Lage zu befreien.

Auch wenn jetzt »The Greatest Story Never Told« endlich über die Indie-Klitsche Suburban Noize Records erscheint, ist von dem einstigen Hype wenig bis gar nichts mehr zu spüren. Die »Warning Shots« sind längst verhallt. Die Aussage, dass sich an den Texten des Albums trotz des jahrelangen Hin und Hers nichts geändert hat, zeugt unter diesen Umständen entweder von ignorantem Wahnsinn oder tatsächlich von einer über irgendwelche musikalischen Trends hinausgehenden Mission. Saigon darf endlich seine Geschichte erzählen. Bühne frei.

Du hast lange auf die Veröffentlichung von »The Greatest Story Never Told« warten müssen. Wie fühlst du dich jetzt kurz vor Release?
Großartig. Wunderbar. Ich denke, jetzt ist der perfekte Zeitpunkt für die Veröffentlichung. Das neue Jahr hat gerade begonnen und ich bin ganz neu motiviert. Jetzt werde ich HipHop in eine neue Richtung lenken.

In welche denn?
Wir sollten endlich wieder über das wahre Leben reden. Das fehlt einfach. Die Leute leben in einer Fantasiewelt. HipHop ist zu einem Zeichentrickfilm geworden: Lügengeschichten und falsche Images – alle sind Gangbanger oder Drogenbosse. Unsere Community hat davon rein gar nichts. Diese schwarze Musik ist ein Produkt des Kampfes des schwarzen Mannes. Heutzutage wird HipHop dafür benutzt, um Müll und Negatives zu feiern.

Ist es nicht eher so, dass vor zehn Jahren, als du neu im Spiel warst, Gewalt viel mehr glorifiziert wurde, während heute eher Ignoranz das große Thema ist?
Alles die gleiche Scheiße! Ich schreibe niemandem vor, nicht über sein direktes Umfeld zu rappen. Aber gerade weil das unsere Realität ist, muss man sie nicht glorifizieren. Wenn ich drogenabhängig wäre, würde ich nicht alles daran setzen, einen Plattenvertrag zu bekommen, um dann darüber zu rappen, wie wunderbar Drogen sind. Richtige Gangster ermutigen ihre Mitmenschen nicht, Gangster zu werden. Sie sagen eher, man soll es besser lassen, weil es einfach zu gefährlich ist. Heute ist jeder ein Gangbanger, Drogenbaron oder Blood – das ist doch peinlich. Wenn du wirklich einer wärst, dann würdest du nicht darüber rappen.

Mittlerweile geht es vielen jungen Künstlern gar nicht darum, all das zu glorifizieren. Sie machen es, weil sie glauben, sie bekommen dadurch einen Plattenvertrag.
Genau. Das Lustige daran ist, dass die Musikindustrie uns ständig erzählt, HipHop sei die Musik der Jugend. Wenn aber Jugendliche die Zielgruppe sind, wieso versorgt die Industrie sie dann nicht mit positivem Inhalt? Es geht nur um Sex und Gewalt. Genau aus diesem Grund zielt mein Album in eine andere Richtung.

Glaubst du, die Hörer des Jahres 2011 wollen dein Album hören?
Sie haben genug Scheiße gehört. Musik verkauft sich nicht mehr, weil es nur noch Dreck gibt, nicht weil die Leute keine 15 Dollar mehr für eine CD haben. Jeder sagt, die Wirtschaft sei schuld. Die Wirtschaft hat aber genauso wenig Schuld wie das Internet. Es kam schlicht und ergreifend nichts heraus, was das Geld wert war.

Hat sich das Album in all den Jahren ständig verändert?
Ja, bei den Beats hat sich einiges getan. Bei den Texten aber nicht, die sind immer noch die gleichen. Wir mussten viele Samples neu einspielen, weil Suburban Noize nicht über die gleichen finanziellen Mittel wie Atlantic verfügt.

Kam dir in all den Jahren mal der ­Gedanke, Songs vom Album zu ­schmeißen und neue aufzunehmen?
Ja und nein. Aber immer dann, wenn ich etwas am Album verändern wollte, hat mich Just Blaze daran erinnert, wie wichtig es ist, das Projekt als Ganzes zu betrachten.

In Interviews hast du immer wieder den sozialkritischen Aspekt des ­Albums angesprochen. Seit du die Lyrics ­geschrieben hast, sind einige Jahre vergangen. Sind deine Kritikpunkte immer noch zeitgemäß?
Für das, was wir tagtäglich mitmachen müssen, ja. Mit was wir uns als Afroamerikaner herumschlagen müssen, definitiv. Ich habe noch nie über die neuesten Autos, neue Getränke oder angesagte Klamotten gerappt, weil dieser Kram irgendwann nicht mehr in ist. Das Problem der Armut verliert aber nie an Relevanz. Damit haben wir schon immer zu kämpfen. Es gibt immer noch unzählige Crack-Süchtige unter uns. Drogen sind nach wie vor beliebt. Jeder kann sich ohne Probleme eine Waffe holen. Diese Sachen sollten mal aus der Mode kommen. Mir geht es um diese Dinge.

Ziehst du diese Leidenschaft aus der Musik oder steckt dahinter für dich als Afroamerikaner, der einen großen Teil ­seines Lebens hinter Gittern verbracht hat, eine größere Mission?
Ich bin tatsächlich auf einer Mission, weil ich überzeugt davon bin, dass es immer noch genügend Leute da draußen gibt, die echte Musik wollen, sie aber nicht bekommen. Viele wollen diesen seichten Scheiß nicht – sie wollen war fürs Hirn. Die meisten sagen doch, dass sie gar keinen HipHop mehr hören, weil heutzutage nur noch peinlicher Mist herauskommt. Es regt nicht zum Nachdenken an, es fehlt an Leidenschaft, es kommt nicht von Herzen, es folgt nur noch einer einfachen Linie: Wir machen eine Hit-Single und ziehen daraus so viel Geld wie möglich.

Hat sich deine Meinung über die Musikindustrie in den letzten Jahren verändert?
Alles ist beim Alten geblieben – es geht nur um Kohle. All die geldgeilen Plattenbosse wollen nur noch mehr Geld. Diese Leute lächeln dir ins Gesicht, sagen, du gehörst zur Familie, während die Dollarzeichen in ihren Augen blitzen. Sobald sie das Gefühl haben, du verschaffst ihnen kein Geld mehr, ist es vorbei.

Wolltest du jemals alles hinschmeißen?
Scheiße, natürlich. Ich würde niemals damit aufhören, kreativ zu sein. Dafür liebe ich diese Kunstform zu sehr, aber die Industrie hat mich fertig gemacht.

Es scheint dir jetzt aber besser zu gehen.
Ja, ich bin jetzt glücklich. Ich bin in der Lage, mein Album so herauszubringen, wie ich es wollte. Hoffentlich gefällt es den Leuten so gut wie mir. Dieses Album ist mein Geschenk an die Welt, mein Debütalbum, das mich zeigt, wie ich wirklich bin. Ich stehe zu hundert ­Prozent hinter diesem Album und ich finde, es ist ein ganz großes Stück Musik geworden.

Text: Amaury »Ammo« Feron
Foto: Alexander Richter

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