Odd Future: Rebellen ohne Grund // Feature

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Odd-Future

Frühjahr 2010, im Fairfax-Bezirk von West Hollywood, Los Angeles. Wir kommen gerade aus der »Known-Gallery« und schauen nun bei »The Hundreds« die neuen Shirts durch. Vor dem Geschäft lungern ein paar Locals herum. Mein ortskundiger Begleiter raunt mir zu, das seien die Jungs von Odd Future, einem lokalen Kollektiv aus Skatern und Musikern – die Coolen von der Schule quasi. Plötzlich wird in brüllender Lautstärke »Hard In The Paint« von Waka Flocka Flame durch den Store gepumpt. Die Kids, die gerade noch lethargisch auf den Bänken vor dem Laden hockten und Joints rauchten, springen auf und beginnen lauthals den Text mitzurappen. Ein Pogokreis bildet sich vor dem Geschäft.

Ich konnte zu jenem Zeitpunkt nicht ahnen, was sich aus diesem chaotischen Haufen einmal entwickeln würde. In der »L.A. Times« wurden Odd Future kurze Zeit später in eine direkte Ahnenlinie mit der Zoo-York-Gang gestellt, die Larry Clark 1995 in seinem Kultfilm »Kids« porträtiert hatte. Heute ist Odd Future für die weißen Vorstadtkids das, was in den Neunzigern der Wu-Tang Clan und die Beastie Boys waren: der rebellische Soundtrack ihrer Pubertät. Ihre Konzerte sind kleine Messen, die Vergleiche reichen von den Sex Pistols bis Nirvana, der ausgewiesene Musikkenner ?uestlove zog Parallelen zu Bands wie Geto Boys und Bad Brains. Die prominente Liste der OFWGKTA-Fans reicht von Flying Lotus bis Pharrell Williams, von GZA bis Snoop Dogg. Alle lieben Odd Future.

Als JUICE-Redakteur Ndilyo Nimindé ungefähr ein halbes Jahr nach meinem Besuch in Los Angeles zum ersten Mal beruflich die Fühler in Richtung des Kollektivs ausstreckte, bekam er nach ein paar Facebook-Chats die Handynummer von Tyler, The Creator und sprach ausgiebig mit dem damals 19-jährigen Anführer der Gruppe. Der charismatische Tyler, geboren und aufgewachsen in Los Angeles, hat in zwölf Schuljahren ebenso viele Schulen von L.A. bis Sacramento besucht. 1991 wurde er als Sohn einer Sozialarbeiterin und eines nigerianischen Vaters geboren, zu dem er bis heute keinerlei Beziehung verspürt: »My father didn’t give a fuck, so it’s something I inherit/my mom is all I have, so it’s never ‚Meet the parents’«, rappt er in seinem Song »BastardA«, während es in »Yonkers« heiAYt: »I just want to know if my father would ever like me.« Die fehlende Vaterfigur ist eines der zentralen Themen seiner Musik.

Musikalisch sozialisiert wurde Tyler von »The Chronic 2001« und dem ersten N.E.R.D.-Album »In Search Of…« Er brachte sich schon mit 13 Jahren selbst das Klavierspielen bei, entwarf in der High School eine eigene Modelinie, besorgte sich eine gecrackte Version der Musiksoftware »Reason« und veröffentlichte ab 2007 hunderte Songs über seinen Tumblr-Blog. Seine musikalischen Interessen sind vielfältig: Wenn man sich etwa seinen »Summer Camp Mix« anhört, den Tyler im letzten Sommer in einem Anflug von Heimweh auf Europatour produzierte, dann stößt man auf die offensichtlichen Einflüsse (Neptunes, James Pants, Dipset), aber auch auf Neo-Soul von Jill Scott und Erykah Badu, auf Chillwave von Toro Y Moi, auf kontemporären Indie-Rock von Grizzly Bear, auf klassisches Material von Stevie Wonder, 2Pac und The Gap Band. In Interviews nennt er immer wieder auch Bands wie Stereolab, Gorillaz und Radiohead als große Inspiration. Das Multitalent rappt, produziert und dreht fast alle Videos des Kollektivs selbst – an einem College in West L.A. hatte er nach der High School ein Filmstudium begonnen, brach es jedoch im Sommer 2010 ab, um sich in Vollzeit um Odd Future kümmern zu können.

Die frühen Jahre (2007-2009)

Doch zurück zum Anfang, als Odd Future nicht mehr als ein unorganisierter Haufen junger Skateboarder, Rapper und Slacker war, der sich nachmittags im Skatepark von Hawthorne oder im Supreme-Laden auf der North Fairfax Avenue traf. Mit der übrigen HipHop-Szene von L.A., den Gangsta-Rappern und Jerk-Tänzern, wollten diese Kids nichts zu tun haben. Über Kontakte von der High School und über MySpace hatte Tyler eine Gruppe von 40 bis 45 Gleichgesinnten um sich geschart, unter denen viele talentierte Musiker, Fotografen, Regisseure und Designer waren. Die Marke Odd Future hatte Tyler ursprünglich als Magazin und T-Shirt-Linie konzipiert, doch mit der Zeit morphte die Marke in eine Art Künstlerkollektiv. Dabei war Tyler extrem wählerisch, wen er in seinen erlesenen Zirkel aufnahm. »Er sagte eigentlich neinzu jedem, erzählte der Rapper Hodgy Beats aus Pasadena einmal stolz. »Aber er sagte ‚yeah‘ zu mir.« Heute ist Hodgy der selbsterklärte Vizepräsident von Odd Future und so etwas wie der HipHop-Traditionalist der Gruppe.

Eines der ersten Mitglieder wurde der Produzent Left Brain, der die Crenshaw High School besuchte, mit Tyler die Vorliebe für Rap und R&B teilte und mit Hodgy Beats das Duo MellowHype bildete. 2008 kamen Hodgy, Domo Genesis und Mike G dazu. Letzterer ist angeblich ein Cousin von G-Funk-Legende Warren G, ging zusammen mit Left Brain auf die Crenshaw High und nahm in seiner Freizeit Screwed-&-Chopped-Tapes auf. Dass er zu Odd Future gehörte, fand Mike erst heraus, als er zufällig ein Gespräch mithörte, in dem Hodgy Beats über ihn als neues offizielles Mitglied sprach. Mike G berichtet, dass Odd Future im Untergrund von L.A. schon damals einen kleinen Hype hatten, nur aufgrund von Tylers Blog und des ersten »Odd Future Tapes«, das dort umsonst feilgeboten wurde. Zudem hatte Tyler in dieser Zeit unter dem Namen Ace Creator zwei Internet-Alben und eine EP aufgenommen, im September 2008 wurde er von Hypetrak zu einem »artist that deserves to be heard on a larger scale« erklärt. Tyler reagierte darauf mit einem halbironischen Twitter-Kommentar: »Oh shit, I made it!«

Als Zentrale der Gruppe fungierte ab 2008 ein idyllisches spanisches Gästehaus aus den Zwanzigern im Bezirk Washington-Crenshaw, südlich angrenzend an Hollywood und westlich an Leimert Park. Dort lebten zu diesem Zeitpunkt Sydney Bennett – auch bekannt als DJ Syd Tha Kyd und ihr Bruder Travis, genannt Taco. Syd ging auf die Hamilton High Music Academy in Culver City und vermietete ihr kleines Heimstudio an Schulkameraden und Freunde. Das Gästehaus stand voller Trommeln und Gitarren, an der Wand hing ein John-Coltrane-Poster. Es war ein einziges Chaos aus Büchern, CDs und DVDs. Eines schönen Tages stand ein Haufen Skater-Kids vor ihrer Haustür. Syd war gerade auf ihrem Weg zu »In-N-Out-Burger« und sagte ihnen, sie könnten später ins Studio, wenn sie warten würden. Als Syd zurückkam, standen Tyler und seine Freunde immer noch da. Es wurde eine lange Nacht.

Im Laufe des Jahres 2009 fand die Odd Future Wolf Gang ihre aktuelle Inkarnation: Tyler, The Creator, Earl Sweatshirt, Hodgy Beats, Left Brain, Domo Genesis, Mike G, Frank Ocean, Syd Tha Kyd, Taco Bennett und Jasper Dolphin. Keiner von ihnen war zu diesem Zeitpunkt über 21 Jahre alt. Dazu gesellten sich noch Matt Martians und Hal Williams aus Atlanta, die unter den Pseudonymen »The Jet Age Of Tomorrow« und »The Super 3« absurden Space-Funk produzierten. Syd Tha Kyd fungierte als Live-DJ und Studio-Engineer der Gruppe. Taco und Jasper waren keine Rapper oder Musiker und leisteten auch sonst keinen kreativen Input zur Crew – ihre Nutzlosigkeit ist mittlerweile zu einer Art Running Gag in der Gruppe geworden. Im Jahr 2009 erschienen über den Odd-Future-Tumblr-Blog zwei Mixtapes von Mike G und Hodgy Beats. Sie schickten ihre Musik an einige der größeren HipHop-Blogs, bekamen jedoch wenig Gegenliebe zurück: Ihr Sound war ganz offensichtlich zu seltsam, zu sehr left-field und passte nicht in die gängigen Blogger-Kategorien für modernen Westcoast-Rap.

»Bastard«, »EARL« und der Aufstieg (2010)

Am 25. Dezember 2009 veröffentlichte der inzwischen 18-jährige Tyler, The Creator sein Debütalbum »Bastard« über den Odd-Future-Tumblr zum Free-Download. Das Intro begann mit einem Diss an die größten Blogs 2dopeboyz und Nahright, die sich zuvor geweigert hatten, Tylers Musik über ihre Kanäe zu verbreiten. In den anschließenden 55 Minuten therapierte sich Tyler mit einem fiktiven Psychiater namens Dr. TC selbst, berichtete auf selbstproduzierten LoFi-Beats, die ihre Ästhetik zu gleichen Teilen Madlib und den Neptunes schuldeten, mit asthmageplagter Stimme von seinem abwesenden Vater, fantasierte über Mord und Vergewaltigung und riss jede Menge homophobe Witze. Auch wenn das beeindruckende Album nicht sofort die größten Wellen schlug, entwickelte es sich über die nächsten Monate zu einem Kritikerliebling, der es in viele Jahresendlisten schaffte.

Anfang 2010 starteten Odd Future eine weitere Offensive: MellowHype brachten ihr erstes gemeinsames Tape »YelloWhite« an den Start, Earl Sweatshirt sein Soloalbum »EARL«, Mike G kam mit einem neuen Mixtape, The Jet Age Of Tomorrow mit dem Instrumentalwerk »Voyager« und schließlich erschien auch das zweite Crew-Mixtape nach dem »Odd Future Tape« von 2008: »Odd Future presents Radical« versammelte die komplette Gang auf ihren Lieblingsbeats der letzten Dekade von u.a. James Pants, The Neptunes, Minnesota, Chuck Inglish, DJ Khaled, Hi-Tek und 9th Wonder. Das Tape enthielt Underground-Hits wie »Swag Me Out« oder »Double Cheeseburger« und bereitete die Welt angemessen auf den Wahnsinn vor, der da kommen sollte. Wir hatten ja alle noch keine Ahnung.

Am 26. Mai 2010 wurde das Video zum Titeltrack von Earl Sweatshirts Soloalbum »EARL« auf die Plattform Vimeo hochgeladen. Den Clip hatte ein aufstrebender Filmemacher aus der kalifornischen Skater-Szene namens A.G. Rojas gedreht. Das Treatment lautete nach eigener Aussage: »Kids mischen alle möglichen Drogen und veranstalten Chaos und Verwirrung in der Stadt.« Faktisch sah das so aus, dass Earl und seine Freunde einen wilden Cocktail aus Bier, Schnaps, Promethazin, Weed und Ecstasy herstellten, diesen aus roten Plastikbechern tranken, anschließend skaten gingen und aus sämtlichen Körperöffnungen auf den Asphalt bluteten, bevor sie sich selbst die Daumennägel rausrissen und ihre Zähne verloren. Am Ende wurde einer von ihnen im Pool versenkt. Und wir saßen mit offenen Mündern vor unseren HD-Flachbildschirmen – so etwas Revolutionäres hatten wir seit den ersten Eminem-Videos tatsächlich nicht mehr gesehen.

Regisseur A.G. Rojas erklärte im JUICE-Interview: »Die Jungs haben einen sehr eigenen Humor. (…) Odd Future ist eine Gegenbewegung zu all dem weichgespülten, glatten Zeug aus dem Fernsehen. Sie wissen, dass sie eigentlich viele Möglichkeiten haben, gleichzeitig sind sie sich aber auch dessen bewusst, dass ihnen eine heile Welt vorgegaukelt wird, die für viele nicht zugänglich ist. Außerdem hat die Wolf Gang einen sehr eigenen Background. Kid Cudi und Lupe Fiasco flirten ja auch regelmäßig mit der Skate-Kultur, obwohl sie eigentlich nichts damit zu tun haben. Tyler und seine Gang sind aus South L.A., haben die schlimmsten Verbrechen mitbekommen und sind gleichzeitig tief in der Skate-Szene verwurzelt, einige von ihnen haben sogar das Zeug, richtige Pros zu werden. Das ist eine sehr interessante Mischung. Die Jungs sind eigentlich extrem politisch, auch wenn sie das nie zugeben würden. Aber mir gefällt das sehr, deswegen wollte ich auch unbedingt das »EARL«-Video drehen.

Was uns an »EARL« jedoch mindestens so faszinierte wie das Video, war das aufblitzende Ausnahmetalent des MCs Earl Sweatshirt, eines damals 15-jährigen autistischen Skaters, der sich, bevor er 2009 zu Odd Future stieß, noch Sly Tendencies nannte, auf eine Privatschule in Santa Monica ging und sich in koreanischer Kampfkunst übte. Doch Tyler hatte seine Fähigkeiten erkannt und produzierte ihm fast das komplette Debütalbum, das für Tyler heute einen ähnlichen Stellenwert wie »Illmatic« hat, wie er einmal auf Twitter erklärte. »Tyler wusste, das Earl rappen konnte«, erzählte Syd der »L.A. Times«. »Aber er war zu aufgeregt, um es uns zu zeigen. Als Earl seine ersten Songs aufnahm, schloss Tyler die Studiotür und ließ uns draußen warten.«

Das »EARL«-Video rief die Blogger und Tastemaker auf den Plan. In der September-Ausgabe des Intellektuellen-Musikmagazins »The Wire« erschien ein begeisterter Artikel, im August bloggte »The Fader« über das Kollektiv, auch »Pitchfork« oder »Dazed & Confused« berichteten über die durchgeknallten Jugendlichen von der Westküste. Hinzu kam immer mehr öffentliches Lob von Flying Lotus, Mos Def oder Kanye West. Odd Future galt langsam aber sicher als das nächste große Ding, zumindest in den üblichen Eingeweihtenkreisen. Zu dieser Zeit übernahmen Christian Clancy und David Airaudi, zwei ehemalige Interscope-Produktmanager, das Management der Gruppe. Sie verfolgten eine neue Philosophie, anstatt die überholten Regeln der alten Industrie anzuwenden – eine Vorgehensweise, die sich als goldrichtig herausstellen sollte.

In einem seiner raren Interviews ließ Clancy eine Brandrede gegen die Plattenindustrie ab, die in seinen Augen aus verschiedenen Gründen dem Untergang geweiht sei: Weil dort seit Jahren die immer gleichen 30 Top-Manager im Kreis befördert werden, die uns überhaupt erst in die aktuelle Misere gebracht hätten. Weil die A&R-Manager sich selbst für Künstler halten. Weil nicht die Authentizität der Marke des Künstlers, sondern Labelpolitik die Basis vieler Entscheidungen ist. Weil Hypes künstlich aufgebauscht und dann schnell gemolken werden sollen. All das hat Clancy gelernt in seinen Jahren als Mitarbeiter eines Major-Labels – er war Produktmanager von »The Marshall Mathers LP« und weiteren Interscope-Releases – und genau diese Fehler wollte er nicht mehr mittragen. Für Odd Future entwickelte er stattdessen eine umfassende Indie-Strategie, die auf viralem Marketing und individuellen Partnerschaften auf Augenhöhe basiert.

David Airaudi erklärte ihr Business-Verständnis einmal so: »Ob XL, Interscope oder Supreme, oder sogar Apple, Sony oder Google, wir suchen jeweils nach dem besten Partner für unseren Content und unsere Kreationen.« Tatsächlich suchten Clancy und Airaudi immer nur kurzfristige Deals: ein Tyler-Album bei der britischen Indie-Institution XL Recordings, eine MellowHype-Reissue bei Fat Possum, eine Lizenz für eine TV-Show im Cartoon-Network Adult Swim. Für Odd Future Records, ihr eigenes Indie-Imprint, schlossen sie einen Vertriebsvertrag mit Sony RED Distribution bei hundert Prozent kreativer Kontrolle. Clancy und Airaudi haben verstanden, dass die Urheber- und Verlagsrechte das größte wirtschaftliche Kapital der Marke Odd Future sind. Sie sind nicht bereit, sich für lange Zeit an ein Riesenunternehmen zu binden, das ihnen im Gegenzug das immer gleiche Inventar an althergebrachten Maßnahmen zur Verfügung stellt. So ist Clancy erklärter Gegner der mittlerweile üblichen 360-Deals: »Warum soll ich der Plattenfirma 20 Prozent an einem Geschäftsfeld überlassen, für das sie nichts tun und in dem sie nicht für mindestens 40 Prozent der Einnahmen sorgen? Ich verstehe das nicht.«

Im Juli 2010 spielten Odd Future ihr erstes großes Konzert im »Key Club« in West Hollywood. Für den Herbst waren die nächsten Releases vorgesehen: ein Weed-Rap-Mixtape namens »Rolling Papers« von Domo Genesis, die Single »Sandwitches« von Tyler und Hodgy Beats, plus das zweite MellowHype-Mixtape »BlackenedWhite«. Christian Clancy werkelte im Hintergrund derweil an der geschäftlichen Seite der Weltübernahme. Im Oktober wurden Odd Future von Richard Russell, der Oberspürnase der britischen Indie-Geschmacksinstanz XL Recordings, nach London eingeladen, um eine Show im Club »The Drop« zu spielen – die Tickets waren innerhalb von 48 Stunden nach Ankündigung ausverkauft. Drei Tage später spielte die Band ihren ersten Gig in New York, im historischen Nachtclub »Webster Hall«, der mit 300 Besuchern ebenfalls bis zum Bersten gefällt war. Die energiegeladenen Shows wurden von den Besuchern mit frühen Punk- und Indierock-Konzerten verglichen. Der Hype um den durchgeknallten Skaterhaufen war auf einem frühen, vorläufigen Höhepunkt angelangt.

Natürlich klopfte die alte Industrie trotz Clancys und Airaudis Strategie an die Tür der jungen Wilden. Jay-Z signalisierte Interesse, Odd Future bei Roc Nation zu signen. Steve Rifkind, der A&R-Veteran, der 1993 den Wu-Tang Clan bei Loud Records unter Vertrag genommen hatte, schrieb eine flammende Twitter-Nachricht an Tyler. Doch der ließ den Industriemagnaten gehässig abblitzen: »Du klingst wie der eine Typ, der an die Schule geht und den kleinen Jungs erzählt, dass du Hundebabys zu Hause hast und so eine Scheiße. No offense.« Später trafen Tyler und Rifkind sich trotzdem noch, aber ein Deal wurde daraus nicht mehr. Stattdessen unterschrieb Tyler einen Vertrag über ein einziges Album bei den Briten von XL Recordings, die in den letzten 15 Jahren ein außerordentlich starkes Gespür für neue Indie-Acts bewiesen haben.

»Yonkers« & »Nostalgia, ULTRA.« (Februar 2011)

Das Jahr 2011 begann mit einem lauten Knall. Am 11. Februar ging das selbstgedrehte Video zu Tylers erster Album-Single »Yonkers« online und generierte in kürzester Zeit fünf Millionen Views (Stand heute: 42 Millionen). Der Plot des Schwarzweiß-Clips: Tyler rappt, bewegt sich psychopathisch, lässt eine riesige Kakerlake über seine Hand laufen, verschluckt diese, übergibt sich, rappt weiter, zieht sein Hemd aus, steigt auf einen Stuhl und hängt sich auf. Im Hintergrund donnerte der härteste Clipse-Banger, den die Neptunes nie produziert hatten, und Tyler disste seine weichgespülten Feindbilder von B.o.B bis Bruno Mars. In seiner Uniform aus Vans, Tube Socks, Hoodie und Supreme-Kappe bot Tyler eine enorme Identifikationsfläche für unverstandene, rebellische und überdurchschnittlich intelligente Jugendliche an den amerikanischen High Schools, aber auch im Rest der Welt.

Fünf Tage nach der Premiere des Videos erschien »nostalgia, ULTRA.« und läutete ein neues Kaptiel der Historie der Crew ein. Denn Frank Ocean ist eine Anomalie im OFWGKTA-Kosmos: Nicht nur, dass der 1987 geborene Sänger das älteste Mitglied im Kollektiv ist, auch stammt er nicht aus L.A., sondern ist ein Zugezogener aus New Orleans, der seine Heimatstadt nach Katrina verließ, weil er dort keine Perspektive mehr für seine Karriere sah. Ende 2009 stieß er über gemeinsame Freunde zu Odd Future, zu diesem Zeitpunkt war er der Einzige in der Gang, der bereits einen Major-Deal hatte und Songs für Künstler wie Justin Bieber, John Legend oder Brandy schrieb. Der talentierte R&B-Sänger und Songwriter war bei seinem Label Def Jam nach einem A&R-Wechsel unverschuldet aufs Abstellgleis geraten. Sein Demo-Album »nostalgia, ULTRA.« stellte er frustriert auf die eigene Tumblr-Website, nachdem die Plattenfirma keinerlei Interesse daran gezeigt hatte, es regulär zu veröffentlichen.

In dem durch die »EARL« – und »Yonkers« -Videos aufgeheizten Klima sorgte »nostalgia, ULTRA.« für mittlere Begeisterungsstürme. Zeitgleich mit The Weeknd, dessen Debüt-Mixtape »House Of Balloons« ebenfalls im Februar 2011 erschien, bot Frank Ocean ein Versprechen, dass R&B auch für Indie-Snobs wieder cool werden könnte. Er nutzte zwar die Harmonien und Strukturen des Genres, war jedoch kein eingeölter Schönling mit akkurater Bartrasur und Personal-Trainer-Figur, sondern einfach eine coole Sau mit starken Texten und den eingängigsten Melodien des Planeten. »Drake und Lupe Fiasco outeten sich als Fans, binnen kürzester Zeit saß Ocean im Studio mit Beyoncé«. Genau wie die Studiofotos von Tyler mit seinen Helden Pharrell Williams und Chad Hugo, die einige Wochen zuvor aufgetaucht waren, sorgten die Twitpics mit Beyoncé für weitere Superlative in der Berichterstattung. Frank Ocean nahm gleich zwei Features für »Watch The Throne« auf, dieses Jahr soll er mit Coldplay auf Tour gehen. Im aktuellen »Oldie«-Video wirkt es zwar schon so, als würde Frank langsam aber sicher aus der herumalbernden Jungsclique herauswachsen, gleichzeitig erfüllt auch er eine bestimmte Rolle innerhalb des Gruppengefüges, nämlich die des erwachsenen, aber mysteriös-distanzierten zweiten Anführers.

Im Februar und März folgten zwei denkwürdige TV-Live-Auftritte, einer davon in der »Late Night Show« von Jimmy Fallon, bei dem The Roots als Backing-Band agierten. Die absurd orchestrierte Bühnenshow aus weiblichen Bühnenzombies, Gartenzwergen, Beanie-Maskerade, Kleinwüchsigen, unvorhersehbaren Stunts und umgedrehten Kreuzen zeigte Wirkung. Tyler sprang Jimmy Fallon bei der Abmoderation auf den Rücken. Mos Def brüllte »Swag« in die Kamera. Dank »Yonkers« und »Sandwitches«, dank Frank Ocean und Jimmy Fallon waren Odd Future jetzt offiziell der heißeste Scheiß auf dem Planeten.

We found Earl Sweatshirt! (April/Mai 2011)

Mitten im Hype um Odd Future veröffentlichte das »Complex«-Magazin eine irritierende Geschichte. Seit Beginn der medialen Berichterstattung um das Phänomen war Earl Sweatshirt abwesend gewesen, er stand nicht für Interviews zur Verfügung, Überhaupt gab es keinerlei Kontaktmöglichkeit. Beim ersten Konzert in L.A. war er auch nicht dabei, sein Name war vom Flyer gestrichen worden, darunter stand: »Will not be there, due to mom.« Wenn man Tyler oder seine Freunde nach ihm fragte, bekam man entweder ein höhnisches Lachen oder eine absurde Geschichte serviert. Dann rappten Hodgy Beats und Domo Genesis in einem Freestyle auf einem alten RZA-Beat: »Ask Syd where we at/She’ll tell you where we going/to free Earl from the fucking Samoans.« Spekulationen über Earls unfreiwilligen Aufenthalt in einem Bootcamp oder einem ausländischen Internat machten ohnehin schon die Runde.

»Complex« behauptete: »We found Earl Sweatshirt!« und veröffentlichte ein Klassenfoto von der »Coral Reef Academy« in Samoa, einer Bildungsanstalt, die auf ihrer Website mit dem Slogan wirbt: »For parents who want more than the typical therapeutic experience.« Ein ehemaliger Klassenkamerad berichtete auf Twitter davon, dass Earls Mutter ihn nach Samoa geschickt habe, weil sie nicht einverstanden mit seiner Musik, seiner Einstellung ihr gegenüber und seinem allgemeinen Lebenswandel gewesen sei. Der großkotzige Tyler zeigte sich plötzlich extrem dünnhäutig, wenn die Sprache auf Earl kam. Einmal soll er beim Abendessen mit Christian Clancy gesessen und sich an die schönen gemeinsamen Zeiten erinnert haben, bis er sich plötzlich selbst in einem melancholischen Moment erwischte und ihn abrupt beendete: »Die Scheiße nervt. Ich mag nicht mehr darüber reden.« Wenige Minuten nach Veröffentlichung der »Complex«-Geschichte ließ Tyler einen Twitter-Rant ab, nannte die Autoren »verfickte Pädophile« und bezeichnete die Informationen in der Story als falsch.

Wenige Wochen später nahmen Earl und seine Eltern im Magazin »New Yorker« zu den Vermutungen Stellung. Im Zuge dessen wurde offengelegt, dass Earl, bürgerlich Thebe, der Sohn von Keorapetse William Kgositsile ist, einem südafrikanischen Dichter, dessen Arbeiten u.a. die Last Poets inspirierten, ihre ersten Proto-Rap-Songs zu schreiben. Kgositsile lebte nach Earls Geburt zur Hälfte in Johannesburg und zur Hälfte bei Earls Mutter in Los Angeles, einer politischen Aktivistin und Erzieherin. Die Ehe zerbrach um die Jahrtausendwende, Earls Vater zog zurück nach Südafrika. Die Musik seines Sohnes habe er noch nicht gehört, berichtete er im »New Yorker«: »Wenn er denkt, dass er etwas mit mir teilen muss, dann wird er es tun. Bis dahin werde ich mich ihm nicht aufdrängen, nur weil die ganze Welt von ihm spricht.«

Der intellektuelle, akademische familiäre Hintergrund tat sein Übriges zur Mythenbildung um den wahrscheinlich stärksten MC von Odd Future. Earl selbst jedoch sah die ganze »Free Earl«-Kampagne, die im Internet inzwischen ihre Kreise gezogen hatte, mit ambivalenten Gefühlen: Einerseits freute er sich über die Aufmerksamkeit, andererseits bemühte er sich klarzustellen, dass er nicht gegen seinen Willen in Samoa festgehalten werde. Die Wut der Fans, die sich nun gegen Earls Mutter richtete, war ihm unverständlich. Entgeistert rief er sie zur Räson: »Das Einzige, was ich jetzt brauche, ist Freiraum. Ich muss viel Arbeit erledigen und brauche auf keinen Fall den zusätzlichen Stress, dass ich mich um die körperliche Gesundheit meiner Familie sorgen muss. Das bedeutet: Kein »Free Earl« mehr. Wenn du dir ernsthaft Gedanken über mich machst, dann schätze ich diese Geste, aber weil du jetzt die echten Fakten direkt von der Quelle kennst, brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen. Bis heute ist nicht ganz klar, warum genau Earls Mutter ihn nach Samoa geschickt hatte. Nach seiner Rückkehr im Frühjahr sagte er in einem Interview mit Hot-97-Moderator Peter Rosenberg, dass er jedenfalls nicht wegen seiner Musik nach Samoa musste, sondern »because I was fucking up… like outside of music«.

Goblin (2011)

Nach all den aufregenden Wochen, in denen die Singles »Yonkers« und »Sandwitches« sowie die revolutionären TV-Auftritte der Wolf Gang verdaut werden mussten, erschien im Mai endlich Tylers zweites Album »Goblin« bei XL Recordings. Bis dahin hatten Odd Future alle ihre Tonträger umsonst angeboten, nun gab es ein erstes käuflich zu erwerbendes Produkt. Der Erfolg war trotz der medialen Dauerpräsenz überraschend: Das Album, wohlgemerkt bei einem britischen Indie veröffentlicht, ging in der ersten Woche mit 45.000 verkauften Einheiten auf Platz 5 in die Billboard-Charts. Am Ende des Jahres hatte es über 100.000 Einheiten verkauft. Sensationelle Zahlen für den geschäftlichen Rahmen, in dem sich Tyler und seine Berater hier bewegten – ohne eine einzige kommerziell vermarktbare Radio-Single, ohne ausufernde Marketing-Budgets und ohne eingekaufte Starpower von oben.

Im Sommer 2011 ging Odd Future auf Reisen. Europäische Festivals wurden auseinandergenommen, fremde Länder und deren Sitten erkundet und verachtet. Tyler und seine Jungs gaben sich redlich Mühe, sich in Übersee imageträchtig daneben zu benehmen, Journalisten zu beleidigen und generell die bösen Buben zu mimen. Die Reporter von »Spiegel«, »arte» und »Rolling Stone« fragte Tyler bei der Pressekonferenz in Berlin etwa, ob sie auf Schwänze stehen würden. Gegenüber unserem Reporter jammerte er herum, dass sein Mobiltelefon in Europa nicht funktioniere, es hier keine vernünftigen Bacon-Cheeseburger gebe und man im Hotel das amerikanische Cartoon Network nicht empfange. Das ganz normale Heimweh eines gerade eben Volljährigen, der zum ersten Mal seinen Heimatkontinent verlassen hat.

Zeitgleich landeten Tyler und Odd Future auf jedem denkbaren Magazin-Cover von »Billboard« bis »NME«. Die Journalisten versuchten, dem als nahezu uninterviewbar geltenden Phänomen Tyler auf ihre Weise habhaft zu werden: Für die »XXL« interviewte Tyler seinen großen Helden Nas, für das »Interview«-Magazin wurde Tyler von seinem großen Helden Waka Flocka Flame befragt. Der Herbst wurde von weiteren medialen Maßnahmen dominiert: Das grandiose Video zu »She« mit Frank Ocean erschien, MellowHype brachten »BlackenedWhite« als Re-Release bei Fat Possum heraus, Domo Genesis veröffentlichte ein zweites Weed-Rap-Mixtape namens »Under The Influence«. Von September bis November tourte die Golf Wang durch die USA und Kanada, im Oktober veröffentlichte sie die Kauf-Compilation »12 Odd Future Songs« über ihr eigenes Odd-Future-Label, die aus Katalogmaterial der Jahre 2008-2011 bestand, das zu einem frA?heren Zeitpunkt bereits zum Free-Download angeboten worden war. Die Strategie ging auf.

The Internet (Januar 2012)

Mitten im aufregenden Toursommer 2011 grA?ndeten Syd Tha Kyd und Matt Martian von The Jet Age Of Tomorrow die ungooglebare Formation The Internet. Sie machen sphärischen Electro-Soul mit HipHop-AttitA?de, mit Einflüssen von Erykah Badu über Beach House bis Santigold. Ihr Debütalbum »Purple Naked Ladies« erschien nun im Januar als erstes offizielles KA?nstleralbum auf Odd Future Records. Im Video zur dritten Single »Cocaine« geht Syd offen mit ihrer Homosexualität um, reißt ein Mädchen auf dem Rummelplatz auf und knutscht mir der Liebsten in der Öffentlichkeit herum. Gleichzeitig sprach sie in einer Cover-Story mit »L.A. Weekly« über die angebliche Scheinehe von Alicia Keys und Swizz Beatz sowie darüber, dass auch Missy Elliott und Queen Latifah ihre lesbischen Neigungen niemals offen ausgelebt hätten. In einer als homophob und intolerant verschrienen Subkultur ist Syd Tha Kyd tatsächlich so etwas wie eine Vorreiterin wider Willen – sie gehört zu einer Jungsclique, deren Lieblingsschimpfwort »Faggot« ist, im Intro des »Odd Future Tape Vol. 2« stellt L-Boy sie folgendermaßen vor: »Syd gay ass, putting her clit on other bitches‘ nipples and whatnot.« Wenn Homosexualität jetzt also »swag« ist, um die gängige OF-Terminologie zu bemühen, dann ist das ein wichtiger Schritt zu deren Akzeptanz und Emanzipation in der HipHop-Szene.

Dabei taugt Syd längst nicht nur als Postergirl des Lesben-Rap, sondern mit ihrer spröden Schönheit, ihrem feinsinnigen Musikgeschmack und der zerbrechlichen Stimme hat sie tatsächlich das Zeug zum nächsten großen Star des Camps. Ihre eigenen DJ-Mixe – etwa bei der renommierten Future-Beats-Partyreihe »Low End Theory« in L.A. – wandern von David Banner und Three 6 Mafia über Santigold, Machine Drum und Sinden bis hin zu Waka-Flocka-und Missy-Elliott-Tunes. Auf dem The-Internet-Debütalbum »Purple Naked Ladies« dominieren sauber arrangierte Soul-Songs auf HipHop-Basis, die ein unbestimmtes zeitgenössisches Lebensgefühl zwischen Lebenshunger und Post-Party-Depression einfangen. The Internet sind vielleicht sogar der massenkompatibelste Act, den das Odd-Future-Kollektiv bisher hervorgebracht hat.

Und die Saga geht weiter: Im Frühjahr ist Earl aus Samoa zurückgekehrt, volljährig geworden und hat einen spröden neuen Song namens »Home« veröffentlicht, der den Silbenfetisch von Pharoahe Monch und Godfather Don mit krachenden Ride-Becken und sphärischen Synthies vermählt. Domo Genesis hat einen gemeinsamen Song mit dem Kifferbruder im Geiste Wiz Khalifa (»Ground Up«) aufgenommen. Odd Future hatten ein Shooting bei der Fotografenlegende Terry Richardson und nahmen währenddessen ein Video zu ihrem elfminütigen Freestyle-Joint »Oldie« auf. Sie haben ihre verdammte eigene Fernsehsendung im Adult Swim Network bekommen, ein »Jackass«-Spin-off mit dem Titel »Loiter Squad«. Tyler, The Creator wurde von Bam Margera in einer Neuauflage von »Punk« verarscht. Das über ihr eigenes Label veröffentlichte Mixtape »OF Tape Vol. 2« stieg auf Platz 5 in die Billboards ein und verkaufte in der ersten Woche 40.000 Exemplare. Die Welt gehört Odd Future.

TMRW

2005, zwei Jahre vor der Gründung von Odd Future, kam der Larry-Clark-Film »Wassup Rockers« ins Kino. Clark, der zehn Jahre zuvor mit »Kids« bereits eine hoffnungslose Generation zwischen Skateboarding, Hedonismus und Aids-Problematik porträtiert hatte, zeichnete darin das Sittenbild einer Latino-Clique aus South Central Los Angeles, die Punkmusik hört, enge Hosen trägt, Skateboard fährt und sich dem Gang-Diktat ihrer Umgebung verweigert. Erstaunlicherweise fängt Clark unabhängig von den musikalischen Vorlieben der Protagonisten in »Wassup Rockers« bereits die Essenz von allem ein, was Odd Future später ausmachen sollte: Außenseitertum im gesellschaftlichen Abseits, unbestimmte Rebellion, schickes Subkultur-Sampling.

Doch was genau ist es, das Tyler und seine Freunde für viele Millionen Kids auf der ganzen Welt zu Vorbildern macht? »Tyler hat keine politische Agenda, will niemanden bekehren, ja sich nicht mal mit irgendwem beschäftigen«, schrieb JUICE-Autor Julian Brimmers in seiner »Goblin«-Review im letzten Jahr. Er hat recht. Tyler verkörpert eine abstrakte Rebellen-Attitüde, die ihre Vorbilder in literarischen Figuren wie Holden Caulfield in »Der Fänger im Roggen« von J.D. Salinger findet und die in der »Popkultur von Jim Morrison über Ian Curtis bis Kurt Cobain seit jeher eine Rolle spielt«. Im Gegensatz zu den drei Genannten ist Tyler jedoch Anhänger der Straight-Edge-Bewegung und lebt komplett ohne Alkohol und Drogen. Doch in einer »Generation Maybe« (»Die Welt«), die in ihrer nüchternen Zielgerichtetheit alle Gründe zum Rebellieren verloren hat, bietet Tyler einen letzten Anti-alles-Anker jenseits des gesellschaftlichen Anpassungsdiktats. Weil die Eltern in den friedensbewegten Siebzigern und Achtzigern sozialisiert wurden, flüchten sich heutige Jugendliche gerne in eine neoliberale Erfolgslogik. Odd Future ist die musikgewordene Absage an das konkrete Weltverbesserertum der Elterngeneration, aber auch das pragmatische Spießerweltbild der Mitschüler.

Abgrenzung ist alles. Tyler weiß das. Weil er schlauer ist, als er meistens tut. Er möchte seiner Generation eine Stimme verleihen, ohne dass er das wirklich zugeben mag. Er will Geld, Ruhm und Auszeichnungen, doch er ist nicht bereit, seine künstlerische Freiheit dafür zu kompromittieren. Auf seiner Formspring-Page antwortete er einmal auf die Frage nach seiner Motivation: »Ich will ein Anführer für die Kids sein, die geärgert und seltsam genannt wurden, und der Welt zeigen, dass der Schlüssel zum Glücklichsein ist, zu tun was man will, ohne sich darum zu kümmern, was andere Menschen denken.« Vielleicht ist es kein Zufall, dass auch der James-Dean-Film »Rebel Without A Cause« einst in Los Angeles spielte.

Text: Stephan Szillus

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