»HipHop ist eigentlich, wenn man es genau betrachtet, ein einziges Ausrufezeichen« // Max Herre im Interview

-

Max Herre rappt wieder. Er wird nächstes Jahr 40 Jahre alt. Mit seiner ganz ­eigenen ­Mischung aus Coolness und Integrität zeigt er seiner eigenen, aber auch nachfolgenden ­Generationen, wie man in Würde mit HipHop älter werden kann, ohne seine Wurzeln zu ­verleugnen. Klar, da war vor ein paar Jahren dieses traurige Neofolk-Album, das keiner außer ihm so richtig mochte. Aber Max hat zum Rap zurückgefunden und gibt sich hungrig wie 2004, als er die Single von seinem ersten Soloalbum mit den Worten eröffnete: »Ich fühl mich wieder wie 19!« Man nimmt es ihm immer noch ab. Vor allem, weil sein drittes Soloalbum »Hallo Welt!« genau die Platte ist, die wir immer von ihm hören wollten.

Es ist Anfang des Jahres, und wir stehen im zweiten Stock des gläsernen Palastes mit Spreeblick, im neuen Büro von Nesola, die soeben bei Sony in Mitte aus- und bei Universal in Friedrichshain eingezogen sind. Max Herre unterhält sich angeregt mit ein paar Anzugträgern, Joy sitzt selbstvergessen am Klavier und trällert vor sich hin, die Kinder turnen zwischen den Erwachsenen herum und tragen limitierte Turnschuhe spazieren. Der Fairtrade-Kaffee geht aufs Haus. Max berichtet von den Aufnahmen zu seinem neuen Rap-Album »Hallo Welt!«, die sich offenbar sehr erfreulich entwickeln. Hinter vorgehaltener Hand tuschelt man über Features mit Stuttgarts nächster und übernächster Generation – namentlich Tua und Cro – und natürlich mit Samy Deluxe und Megaloh, die sich gerade zur gemeinsamen Rauchpause nach unten vor die Türen der Plattenfirmenzentrale verzogen haben.

Einige Wochen später, in einer edlen Sneaker-Boutique an der Torstraße in Berlin-Mitte, mitten im Epizentrum der Jutebeutel- und Vollbart-Bewegung. Max stellt zusammen mit dem Designer ­seinen Signature-Schuh vor, einen lässigen ­halbhohen Wildlederstiefel, der an den klassischen Desert Boot der britischen Traditionsfirma Clarks erinnert, aber komplett aus Öko-Materialien hergestellt wurde. Samon Kawamura legt Madlib und Dilla auf, dann greift sich Max das Mikrofon und spielt neben ein paar Gassenhauern aus der FK-Ära auch zwei brandneue Tracks. Die versammelte Hipster-Bagage gerät aus dem Häuschen, Max taugt halt immer noch als Integrationsfigur, die HipHop auch in diesen Kreisen cool aussehen lässt, ohne dass der Mann auch nur einen Fetzen seiner Integrität dafür opfern müsste.

Noch einige Tage später sitze ich in Samons Zweit-Altbauwohnung in Kreuzberg, die als KAHEDI-Studio fungiert. Roberto Di Gioia, der Multiinstrumentalist des Produktionstrios, hockt auf dem Fußboden, der Hausherr selbst sitzt auf der Couch. Max steht am Fenster, schaut auf den Görlitzer Park hinaus und rappt seine eigenen Texte euphorisch mit. Noch sind die Mixe nicht endgültig, doch dass hier Großes entsteht, daran lassen die vorläufigen Versionen keinen Zweifel. Ich höre Philipp Poisel und Aloe Blacc, Marteria und Clueso, ­Patrice und Sophie Hunger. Aber ich höre im Subtext auch Lenny Kravitz und Darondo, The Roots und Joe Cocker, A Tribe Called Quest und Kanye West. Ich höre zeitgemäße deutschsprachige HipHop-Musik, deren Selbstbewusstsein komplett jenseits von Szenediskussionen um Slimfit-Jeans und schwule Sänger funktioniert.

Mit seinem Muckerteam KAHEDI übersetzt Max staubigste Digger-Ästhetik und große Melodien in zeitlose Rap-Songs im Geiste der großen Helden der Jetztzeit: Die Referenzen sind Jay-Z und Kanye West, aber auch J. Cole und Kendrick Lamar. Dabei kommt »Hallo Welt!« zu keinem Zeitpunkt retrospektiv oder ewiggestrig daher, sondern klingt extrem frisch und aktuell, ohne sich etwa an die geschmacklichen Verirrungen der Generation Swag anzubiedern. Hier hat jemand zu sich selbst zurückgefunden, hat seinen Frieden mit seiner Subkultur gemacht, in deren Aggressivität er sich selbst einige Zeit nicht mehr wohlgefühlt hatte.

Fast forward in den verregneten Berlin-­Sommer 2012. Wir sitzen mal wieder in Max’ Lieblingscafé, trinken Cappuccino und essen Granola mit Früchten und Joghurt. Max ist geschlaucht vom Promo-Marathon. Es ist ohnehin schwierig, sich auf Augenhöhe mit diesem Mann zu unterhalten, der deutsche Rapmusik so geprägt hat wie außer ihm nur eine Handvoll Menschen und der auf uns Fans immer schon leicht entrückt wirkte, keinesfalls weltfremd, aber auf interessante Art und Weise erhaben und allwissend. Eine überhöhende Wahrnehmung, die ihm selbst oft Kopfschmerzen bereitet hat – weil er eben nicht permanent druckreife Statements zu sämtlichen politischen Situationen auf der Weltkarte parat hatte und sich im echten Leben weder als »Jesus von Benztown« noch als »Che Guevara aus dem Stuttgarter Barrio« begriff. Max Herre wollte nie mehr als seine eigene, freigeistige Vision von HipHop ausleben; er ist kein politischer Revolutionär, sondern ein Musiker – allerdings einer, der seine Ideale nie verraten hat, der sich nie vereinnahmen lassen wollte von der Maschinerie aus Teenie-Presse, Prekariats-TV und nichtsahnenden Major-A&Rs, die das öffentliche Bild von HipHop seit 2003 zerstört hat. Da diese Zeit nun endgültig und unwiederbringlich vorbei ist, kann Max Herre wieder mit breiter Brust vor sein Publikum aus alten wie neuen Bewunderern treten. Jay-Z würde sagen: »I guess I got my swagger back.«

Gehen wir einen Schritt zurück, kurz nach die Veröffentlichung deines ­letzten Albums »Ein geschenkter Tag«, das mit den Erwartungshaltungen der Fans gebrochen hat. Waren die ­Reaktionen darauf eher das, was du erhofft oder was du befürchtet hast?
Es war nicht, was ich mir erhofft habe, aber befürchtet habe ich gar nichts. Ich glaube, man braucht als Künstler dieses Maß an Selbstbewusstsein, vielleicht sogar Selbstüberschätzung. Als die Platte fertig war, wollte ich sie einfach gerne zeigen. Ich fand, es war eine gute Platte. Meine Lebenssituation war einfach so, dass ich mich privat neu erfinden musste – warum also nicht auch gleich musikalisch? Was ist Max minus Soul und HipHop? Da blieb die Lyrik, die Gitarre und eine Emotionalität, die ich auch schon bei Freundeskreis oder meiner ersten Soloplatte gesucht hatte. Am Ende standen diese 14 Stücke und ich dachte: Das ist Musik, die für jeden funktionieren kann – unabhängig von Genre und Alter. Das war so ein »Mamani«-Moment: Damals hatte ich das Gefühl, man bricht durch eine Schallmauer, die mit HipHop schon erreicht war. Insofern war es schon ernüchternd, dass es dann doch so schwierig war. Es hat mich eine Weile gekostet, das zu akzeptieren.

Hattest du HipHop als musikalischen Entwurf wirklich ad acta gelegt?
Am Anfang hatte ich mit Samon (Kawamura) durchaus angefangen, an Beats zu arbeiten. Damals, vor sechs, sieben Jahren, sind wir nach München zu Roberto (Di Gioia) gefahren, wo wir als KAHEDI überhaupt erst angefangen haben, zusammenzuarbeiten. Ich habe zu der Zeit etwas gesucht, was sich musikalisch zwischen Bill Withers, Terry Callier und Neil Young bewegt. Die ursprüngliche Idee war, auf solche Beats zu rappen und die Refrains zu singen. In diesen Sessions sind viele Songs entstanden, wo die Samplequelle nicht mehr Soul und Funk, sondern selbst generierter Blues oder Folk war. Aber es waren immer noch HipHop-Beats. 2007 stand dann im Zeichen dieser »FK10«-Kiste mit dem Splash!-Auftritt und der Best-of-Platte. In dieser Zeit war privat alles ziemlich schwierig, da habe ich mir schon richtig einen abgekrampft, um überhaupt die beiden neuen Songs »FK10« und »Das Prinzip Hoffnung« hinzubekommen. Dann sind privat noch weitere Bomben eingeschlagen, und als ich wieder an meiner Platte arbeiten wollte, habe ich einfach gemerkt: Ich habe den Swag nicht mehr für diese Rap-Sache. In meinem Leben lag zu viel im Argen, als dass ich den Rapper geben konnte, der komprimierte Wahrheiten für die Welt hat. Die Platte war am Ende ein Ausdruck dieser Zeit. Ich konnte nicht mehr Aretha Franklin samplen, weil mir das einfach zu viele Schmerzen bereitet hätte. Ganz einfach.

Eine dieser privaten »Bomben« war die Trennung von deiner Frau Joy ­Denalane. Während der Arbeit an Joys Album »Maureen« seid ihr dann aber wieder zusammengekommen…
Ja, wir haben uns wieder ganz gut verstanden und es wurde klar, dass sie es gerne hätte, dass ich an der Platte mitarbeite. Zunächst ging es nur darum, die ursprünglich von Sékou und ihr auf Englisch geschriebenen Texte zu übersetzen, später auch darum, mit ihr neue Songs zu entwickeln. Die musikalische und die private Annäherung verliefen dann parallel zueinander. Es gab auf Joys Platte den Song »Frei«, das war eigentlich ein Beat, den ich schon in meinem Ordner liegen hatte und für den ich ein Konzept für einen Rap-Song entwickeln wollte. Sékou hatte mit Joy einen Text geschrieben, der sozusagen herrenlos war, was den Beat anging. Irgendwann habe ich zu Joy gesagt, sie soll den Text doch mal über dieses Instrumental singen – und das Ergebnis war so gut, dass ich den Beat gehen lassen musste. Vielleicht hat »Maureen« auch dazu geführt, dass ich diese Attitude zurückbekommen habe. Plötzlich fühlte ich mich musikalisch wieder ganz zu Hause, das waren Automatismen. Wenn ich mit HipHop, Soul und Funk arbeite, dann weiß ich ganz einfach, was ich zu tun habe. Die Platte davor war eine Lehre, durch die ich noch mal gegangen bin und auch gehen wollte.

Vor allem war es eine melancholische, nachdenkliche Platte. »Hallo Welt!« hingegen klingt in weiten Teilen wieder sehr positiv und selbstbewusst.
Ich glaube, dass mir die letzte Platte dabei geholfen hat, nun auch in meinen Rap-Sachen noch deeper zu werden. Was ich herübergerettet habe, ist eine bestimmte Art von Lyrik, die es im Rap selten gibt. Grundsätzlich hat Rap etwas mit Selbstbewusstsein zu tun – anders als Singer/Songwriter, denn das ist introvertierte Musik. Rap ist eine direkte Ansprache, vorne an der Bühnenkante, bei Singer/Songwriter lässt du die Leute in deine Gefühlswelt hinein. Natürlich gibt es Schattierungen, aber grundsätzlich brauchst du eine gewisse Sicherheit und ein Fundament, um glaubwürdigen Rap machen zu können. Was ich jetzt zugelassen habe, ist das Hadern und Zweifeln, zum Beispiel in den Songs mit Philipp Poisel oder mit Tua. Aber Musik ist grundsätzlich für mich eine positive Ausdrucksform. Auf der letzten Platte gab es einen Song wie »Staub«, der einen depressiven Moment beschreibt. Aber ich will immer das Licht am Ende des Tunnels sehen, gerade in der Musik. Man will nicht mit einem Fragezeichen, sondern mit einem Ausrufezeichen rausgehen. Nicht mit einem Slogan wie »Hier geht es lang, alle mir nach«, aber mit dem Wissen, dass es irgendwie weitergeht. Musik ist etwas Trostspendendes, ich möchte daraus ein positives Gefühl gewinnen.

Inwieweit spielte neben der privaten Entwicklung auch die Entwicklung der HipHop-Szene und der Musikwelt in den letzten Jahren an sich eine Rolle bei der Neujustierung deines Sounds?
Es gibt schon ein Movement. Die Platten von Marteria und Casper waren die wichtigsten Platten, die eine neue Zeit in Deutschland eingeläutet haben. Beide sind komplett verschieden, aber beide stehen für eine neue Offenheit, für den Spaß an Musik und Musikalität, an Experimentierfreude und an thematischem Nichtfestgelegtsein. Aber ich habe vor allem auch Sachen aus Amerika gefeiert – wie immer eigentlich. »How I Got Over« von The Roots, die Kanye-Platten, »Section.80« von Kendrick Lamar, Frank Ocean. HipHop ist und war immer da. Manchmal gibt es mehr Platten, die einem gefallen, manchmal weniger. Was ich wenig mache, ist, alte Platten zu hören und nostalgisch zu werden, nach dem Motto: »Ach, so müsste es wieder sein.« Wenn ich Rap höre, dann aktuelles Zeug. Ich habe aber nicht bestimmte Platten gehört und darüber den Spaß am Rappen wiedergefunden. Wobei – Samys Platte vielleicht. Mit »SchwarzWeiss« hat er einen Weg vorgezeichnet, die Platte hat mir total Spaß gemacht. Ich halte ihn für den komplettesten Rapper, den wir hier in Deutschland haben. Viele wissen es, aber viele verkennen es auch, wie talentiert dieser Mensch eigentlich ist. Das war aber auch eine Phase, in der ich schon die Entscheidung getroffen hatte, auf Beats zu schreiben und zu rappen. Natürlich ist Texten für mich immer ein Martyrium. (lacht) Aber die technische Seite war für mich schnell klar, das rostet einfach nicht, da habe ich in meinem Leben so viel Zeit investiert. Mir war es vor allem wichtig, keine Nostalgieplatte zu machen, sondern dass es im Hier und Jetzt stattfindet. Ich habe die Rapper draufgeholt, die der Sache momentan einen neuen Ausblick geben – Marteria, Tua, Cro, Samy und natürlich Megaloh.

Den du im letzten Jahr auf deinem Label Nesola gesignt hast…
Zu Megaloh müssten wir eigentlich ein ganzes eigenes Interview führen. Ich zähle ihn nie zu den jungen Typen, weil er für mich einfach nur diese eine Platte machen muss. Er ist ja schon die ganze Zeit da, und jeder weiß auch eigentlich, wo seine Qualitäten liegen. Er hat nur das Versprechen dieses Albums noch nicht eingelöst. Aber da bin ich mir hundertprozentig sicher, dass er das jetzt macht und dann auch den Platz einnimmt, der ihm gebührt. Für mich ist er ganz einfach der MC, der am meisten nach Rap klingt. Samy und Robbe waren es immer, jetzt kommt Mega dazu. Wenn ich jemandem, der nicht von hier ist, Rap auf Deutsch erklären müsste, würde ich ihm was von Mega zeigen. Er hat die Stimme, die Präsenz, die Musikalität, die Tiefe, den Schmerz – es tut einem die ganze Zeit ein bisschen weh, wenn man ihm zuhört. Für mich ist er das deutsche Pendant zu Shurik’n. Der ist auch erst mit der Machete durch die Banlieue gezogen, hat dann aber diese Elder-Statesman-Rolle eingenommen. Er ist ein Chronist, der seine Umgebung nicht glorifiziert, sondern darüber schreibt und sie gesellschaftlich spiegelt. Eine politische Instanz, ein wirklicher Teacher, fast wie ein Sozialarbeiter. Da sehe ich Megaloh und da wird er mit seiner Platte auch hinkommen. Man glaubt ihm einfach, wenn er etwas sagt.

Als Megaloh bei Nesola gesignt wurde, haben sich viele schon gewundert, eben weil Nesola nicht als Rap-Label bekannt ist.
Ich sehe Nesola auch nicht als Rap-Label. Neben Joys und meinen Platten haben wir drei Alben von Laura Lopez Castro und Don Philippe und drei Alben von Samon Kawamura herausgebracht. Wir sind ein kleiner Laden mit zwei Major-Künstlern, daher waren wir auch immer gut ausgelastet und es ging nie vorrangig darum, sich möglichst breit aufzustellen. Bei Megaloh war es so, dass wir die Demos gehört haben und dass Joy und ich seine Musik unabhängig voneinander einfach sehr gefeiert haben. Er hat uns diesen Spaß am HipHop wiedergebracht. Genau so muss das klingen! Wir fragten uns: Warum kennen den so wenig Leute, warum hat der dieses Album noch nicht gemacht? Für mich war das ein Moment wie damals, als ich vier Songs von Afrob auf Kassette bekam. Und da wir immer nur machen, worauf wir Lust haben, boten wir ihm dann einen Deal an.

Auf deinem Album ist er auf dem ­letzten Song »Rap ist« vertreten…
Ja, das ist quasi als Übergabe des Staffelstabs zu verstehen. Er macht einfach klar, worum es auf seiner Platte gehen wird. Und daher wollte ich ihm auch gerne dieses letzte Wort geben.

»Hallo Welt!« lebt insgesamt von sehr vielen Gästen, dennoch steht zu keinem Zeitpunkt in Frage, dass du die Hoheit über diese Platte behältst.
Die Platte hat für mich zwei Aspekte: Einmal bin ich der Rapper und Frontmann, andererseits aber auch der Produzent. Wir, also KAHEDI, orchestrieren unsere Songs aus Produzentensicht. Ich habe eine bestimmte Vorstellung davon, was auf Vokalistenseite in den Songs passieren muss. Am Anfang entstehen Beats, Texte, Instrumentierungen – und dann überlegt man sich eben: Wie bringt man diesen Song nach Hause? Welche Farbe braucht er noch? Das macht eine Max-Herre-Platte am Ende auch zu einer Produzentenplatte. Ich bin nicht nur ein Rapper, der in die Beats involviert ist, sondern KAHEDI ist ein Produzententeam, das versucht, die bestmögliche Musik zu machen. Manchmal bekomme ich das alleine hin, oft gibt es aber auch jemanden, der es noch besser macht.

Wird deswegen »KAHEDI Radio« sogar auf dem Cover erwähnt?
Die Konstellation ist ganz wichtig. Wir haben an dieser Musik mindestens ein Jahr gearbeitet. Wir sind ein Team: Samon, Roberto und ich. Es wird für die Deluxe Edition von »Hallo Welt!« neben zwei Bonus-Songs auch das komplette Instrumental-Album mit zusätzlichen Skits als Bonus-Disc geben. Das Konzept hinter »KAHEDI Radio« ist ein imaginärer Piratenradiosender als Metapher für das, was ich mache – genau, wie es damals »Esperanto« war. Es ist ein Bild für etwas von Format und von der Außenwelt Unabhängiges, ein ganz eigenes Programm, bei dem ich die redaktionelle Hoheit habe. Wie in einer Radioshow kann ich verschiedene Genres und Einflüsse nebeneinander­stellen und verbinden: Den Al-Green-Seventies-Soul von »Vida« mit einem Klezmer-Stück wie »Berlin-Tel Aviv«. Das widerspricht sich nicht, weil auf meinem Sender eben verschiedene Sachen laufen dürfen. Diese Idee, zu senden und zu funken, gab es bei mir schon früher – »Wir spreaden’s über Stuttgarts Hügel in die Welt …« – das fand ich interessant. Vor allem jedoch sind wir nicht korrumpierbar, die Musik und die Kunst ist unser höchstes Gut. Darin sind wir unabhängig.

Also hat das Konzept auch ein ­subversives Element…
Ja, wobei ich damit ein bisschen vorsichtig bin. Es ist ja kein echter Piratenradiosender, sondern eben nur ein Symbol dafür, wie wir uns im Kontext des Musikbusiness definieren. Das war auch das große Missverständnis, dass viele Leute mit Freundeskreis immer hatten: Dass wir uns als politisch subversiv gesehen hätten und das außerhalb des HipHop-Gedankens. Es gab damals keine Formate für HipHop, daher haben wir viele Formate nicht gemacht. Viele Redakteure, die nicht aus dem HipHop kamen, haben das als wahnsinnig politisches Statement gesehen. Für mich geht es aber auch in der Karriere und in der Musik darum, man selbst zu bleiben und, wenn es nötig ist, auch unangenehm und schwierig zu sein, anzuecken und sich nicht zu verbiegen. Ein Piratensender lässt sich nicht vereinnahmen. Wenn wir auf Sendung gehen, dann transportieren wir unsere Inhalte.

Ich empfinde den von dir bereits angesprochenen Song »Berlin-Tel Aviv« mit Sophie Hunger als einen Ausnahme­song auf der Platte. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Sophie Hunger ist ein musikalisches Wunderkind. Sékou ist ein Riesenfan von ihr, über ihn habe ich sie kennen gelernt. Er spielte mir ihre Platten vor und ich war sofort begeistert von ihr als Sängerin und Songwriterin. Sie ist ein Phänomen, weil sie in drei Sprachen wahnsinnige Sachen schreibt. Wir haben dann mal zusammen auf einem kleinen Festival gespielt – das war großes Glück, denn ich hatte schon das ­Instrumental und wusste, sie muss darauf singen. Ich habe es ihr mitgegeben, sie aber sehr lange warten lassen, bis ich meinen Text fertig hatte, denn für mich war es eine große Aufgabe, das Ding zu schreiben. Als ich es ihr schickte, schrieb sie direkt zurück, und ich glaube, damit habe ich sie bekommen. Zehn Tage später hat sie den Refrain zurückgeschickt. Das war das einzige Feature, das nicht gemeinsam im Studio entstanden ist. Mit Aloe Blacc war ich in Düsseldorf im Studio, mit Philipp Poisel in Stuttgart, mit Patrice im Kölner Supow und der Rest kam nach Berlin ins KAHEDI-Studio. »Berlin-Tel Aviv« ist ein Song, auf den ich ganz besonders stolz bin und den sie wirklich geadelt hat. Sie ist Weltklasse.

Man muss vielleicht auch erwähnen, dass sie nicht häufig auf Deutsch singt.
Ja, es gibt mit »Volkslied« und »Walzer für Niemand« zwei deutschsprachige Stücke von ihr, die ich im Ohr hatte, als ich diesen Song mit ihr machen wollte. Ihre neue Platte ist wieder komplett auf Englisch. Sie hat sie wohl in Los Angeles aufgenommen. Sie ist ja eigentlich Schweizerin, ich glaube, ein Botschafterkind. Als sie 15, 16 Jahre alt war, lebte sie in Bonn. Bei unserem Kennenlernen erzählte sie mir, dass sie jeden Text von »Quadratur des Kreises« auswendig konnte, sie ist mit diesem Sound sozusagen aufgewachsen. Das hat mich natürlich geehrt, aber es hat vor allem auch die Zusammenarbeit leichter gemacht, weil sie diese Temperatur von Songs wie »Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte« oder »Nicht allein« kannte. Wenn wir deep gehen, dann richtig. (grinst)

Momentan ist ja auch im HipHop mit Künstlern wie Marteria, den Orsons oder Cro eine Generation am Werk, die Freundeskreis als klaren Bezugspunkt anerkennt und offen benennt.
Das stimmt. Die Generation ab 2000 war ja eher eine, die sich über Abgrenzung definiert hat. Viele haben so getan, als hätte es davor keinen Rap gegeben. (grinst) Diese Ablehnung wiegt natürlich immer schwerer als die Zuneigung, etwa von den Orsons, die auch die ganze Zeit da waren. Ich find’s natürlich angenehm jetzt. Ich begreife mich als Musiker, der mitten im Leben und in der Karriere steht. Ich beziehe mich nicht die ganze Zeit auf Musik, die ich mal mit 23 gemacht habe. Der Moment mit Cro im Studio war auch deshalb interessant, weil wir natürlich mindestens zwei unterschiedliche HipHop-Generationen repräsentieren und trotzdem sofort einen gemeinsamen Nenner hatten. Ich saß vorher mal mit meinem älteren Sohn zu Hause und hörte mir mit ihm den Cro-Song »Einfach so (70.000 Pandas)« an. Am Ende rappt Cro darin: »Max Herre sagt’s dir«, und dann kommt ein Vocal-Sample von mir reingecuttet. In diesem Moment bin ich natürlich im Ansehen meines Sohnes um sieben Meter gewachsen. (lacht) Das war schon ein interessanter, guter Moment. Da habe ich wieder gemerkt: Rap ist angekommen, das geht nicht mehr weg. Und ich fühle mich gut an dem Punkt, an dem ich als Musiker bin, vor allem in diesem Genre. Das ist mein Handwerk, und darin bin ich immer besser geworden. Es gibt ein großes inhaltliches, musikalisches und textliches Spektrum, aus dem ich schöpfen kann. Das gibt dem Ganzen eine gewisse Leichtigkeit.

Hattest du aber vor einigen Jahren nicht auch mal eine Phase, wo du gedacht hast, du wächst aus HipHop heraus und kannst mit dem neuen Rap nichts mehr anfangen?
Es gab diesen Moment, vor fünf, sechs Jahren, auch noch zu Zeiten von »Ein geschenkter Tag«, wo ich mich gefragt habe: Bist du wirklich noch der Typ, der da vorne steht und die Ansagen macht? Und noch wichtiger: Willst du das mit 65 noch sein? Einen guten Song mit Gitarre oder Klavier spielen, so wie es Konstantin Wecker oder Hannes Wader machen, das konnte ich mir zu der Zeit eher vorstellen. Aber die neue Platte ist auch eine Entscheidung dafür, dass man das jetzt noch 20 Jahre macht. Natürlich habe ich einen fast zwölfjährigen Sohn, der dieselben Turnschuhe mag wie ich. Das ist eine Realität, mit der ich mich auseinandersetzen muss. Aber ich fühle mich immer noch jung in dem, was ich mache. Vielleicht ist es schwierig, weil man eben diese diffusen Vorstellungen vom Erwachsensein im Kopf hat, die man nicht erfüllt. Wovor ich wahnsinnig Angst hatte und habe: Ich finde, man kann Bob Dylan werden, aber ich will nicht Mick Jagger werden. Das heißt, ich will keinem Bild gerecht werden, dass man im Alter von 22, 23 Jahren aufgebaut hat. Ich will etwas Altersgemäßes machen, was sich mit den Ideen und Themen auseinandersetzt, die gerade für mein Leben relevant sind. Aber warum nicht mit 60 noch auf der Bühne stehen und etwa »Anna« spielen? Man kann das ja in der Rückschau auch humorvoll nehmen, ich bin inzwischen selbst bereit, über vieles zu lachen. Das ist ein guter Moment, wenn man diesen Abstand gewinnt.

Wir haben aber im Gegensatz zu den USA keine Role Models in Deutschland, die uns zeigen, wie man mit HipHop erwachsen und vielleicht sogar alt ­werden kann. Diese Verpflichtung ­obliegt nun Menschen wie dir.
Klar, wir sind es jetzt, die durch diese Tür gehen müssen. Aber für mich ist HipHop eben keine Frage der Weite der Jeans, sondern eine Frage der Haltung. Diese Haltung haben wir längst verinnerlicht, und zwar über HipHop hinaus. Das ganze Indie-Movement in Deutschland, die Art und Weise, wie junge Künstler heute ihre Karrieren starten, die ganze Idee von Unabhängigkeit und Freiheit – das ist etwas, was die HipHop-Bewegung sehr stark zu verantworten hat. Es gibt nun mal einen bestimmten Ethos, einen bestimmten Blickwinkel, den wir auf die Dinge haben. Natürlich kommt man sich dann auf dem Elternabend auch mal komisch vor mit Mütze auf dem Kopf. Trotzdem sitzen da auch Menschen, die früher mal auf einem FK-Konzert standen und das gefeiert haben. (grinst) Es ist doch so: HipHop ist ein vergleichsweise junges Genre. Wir kennen 60-jährige Rock’n’Roller und 70-jährige Jazz-Musiker, die auf der Bühne stehen. Aber, ja, wir müssen diesen Weg für HipHop jetzt erst selber definieren. Ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass ich mit dem neuen Album meinen Teil dazu beitragen kann.

Warum eigentlich das Ausrufezeichen in »Hallo Welt!«?
Das ist gut, dass du mich das fragst. Ich stehe auf Satzzeichen. Ich mag das Ausrufezeichen gerade total gerne. »Hallo Welt!« ist eine direkte Ansprache. Ich mag diesen Titel, auch wenn er nicht sehr kompliziert ist und sich nicht nach besonders viel Überlegung anhört. Aber so eröffne ich die Platte, so eröffne ich eine Radioshow, so eröffne ich das Konzert. Ich bin wieder da. Man hätte auch ein Fragezeichen dahinterstellen können. Aber das Ausrufezeichen gehört zu HipHop. HipHop ist eigentlich, wenn man es genau betrachtet, ein einziges Ausrufezeichen.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein