»Ich will ich mich einfach ein ganzes Jahr lang einschließen und ohne Ziel Musik machen.« // Jan Delay im Interview

-

 

juice130_Jan-Delay-Kopie

Deutschrap-Geschichte geschrieben? Die Regeln und Gesetze der Szene hinter sich gelassen? Damit unglaubliche Erfolge gefeiert? Been there, done that. Muss er uns wirklich noch was beweisen? In der deutschen Rap-, nein, Musikszene dürfte man kaum einen Künstler finden, der mehr Freigeist ist als dieser junge Herr aus Hamburg-Eppendorf. Scheinbar mühelos erfindet sich Jan Delay Album für Album neu und schafft es dennoch jedes Mal, eine breite Masse anzusprechen. Vom Rap zum Reggae, zum Funk, zum Punk. Vom Studio in die Charts und von dort aus in die Konzerthallen der Welt. Wenn Jan Delay Ende des Jahres in Japan spielt, dann werden die Fans dort wieder einmal seine Lieder singen – oder es zumindest versuchen. Ob er will oder nicht.

Was ist dein Kriterium für ein gutes Konzert?
Wenn nicht genug Leute da sind, sagt das für mich nichts darüber, ob das ein guter oder schlechter Gig war. Überhaupt nicht. Kriterien sind eher: Wie sind die Leute drauf? Mag man sie oder mag man sie nicht? Klar, ­meistens mag man sie, aber manchmal spielt man auf einem Festival oder einer Werbeveranstaltung, wo eben nicht das normale Jan Delay-Publikum kommt. Es geht also eher darum, wie unser Publikum und vor allem auch wir drauf sind. Wir sind elf Leute, da ist das Ganze natürlich subjektiv. Der eine an der Trompete hat gut gespielt, der Bassist hat sich paarmal verzockt und fand’s weniger gut. In Frankfurt war es zwar eine geile Show, aber ich war danach trotzdem angepisst. Da habe ich nämlich zum ersten Mal bemerkt, dass es ein paar Stellen gab, wo ich nicht so ganz konnte, wie ich wollte. Ich hatte ja im Vorfeld der Tour diese Stimmband-OP, anfangs habe ich deren Folgen schon bemerkt.

Sind die Gigs in Hamburg die ­besten?
Ja, schon. Als ich vor einigen Wochen in der Color Line Arena gespielt habe, war das eines der schönsten Konzerte meines Lebens. Ich würde das sogar als einen der schönsten Momente meines Lebens bezeichnen. Da waren 12.000 Leute, die sich schon ewig auf das Konzert gefreut hatten, das konnte man vom ersten Takt an ­spüren. Da brauchten wir nicht mal eine Aufwärmphase, alle haben sofort getanzt. Das war eine riesige Party.

Dieser Tage erscheint »Wir Kinder vom Bahnhof Soul – Live«. Warum macht man heute noch eine Live-CD und nicht gleich eine DVD?
Die Frage haben wir uns schon bei »Mercedes Dance« gestellt, damals hat jede Band eine Live-DVD veröffentlicht. Wir wollten das Live-Album aber vor allem für uns machen. Erst nach den 100 Shows, die wir gespielt hatten, waren wir zu einer Funkband geworden. Wir waren jetzt da, wo wir hinwollten. Das wollten wir noch mal unter Beweis stellen. Abgesehen davon verkaufen sich DVDs einfach mal null. Die schaut man sich einmal an, dann stellt man sie in den Schrank. Eine CD wirst du dir häufiger anhören, wenn sie dir gefällt. Da spielt es keine Rolle, ob es eine Live-Aufnahme ist. Früher hat man Alben ja komplett live aufgenommen. Da wir Retromusik machen, passt das gut zu uns.

Wäre es für dich reizvoll, eine Platte live aufzunehmen, wie es früher beispielsweise bei Motown der Fall war?
Nein, dafür bin ich zu sehr Perfektionist. Es mag für manche Leute ganz sexy sein, eine Platte in sieben Tagen einzuspielen, aber nicht für mich. Ich will mir das ja immer wieder anhören und feiern können. Wenn da zu viele Fehler drin sind, geht das nicht. Würde ich Punkrock machen, wären Fehler erlaubt, aber nicht bei der Musik, die ich im Augenblick mache.

Mit den Soulful Dynamics gab es schon Anfang der Siebziger eine Funkband aus Hamburg, die recht erfolgreich war. Siehst du dich da in einer gewissen Tradition?

Nein. Die Band war zwar aus Hamburg, aber hier nie large. Ich finde es geil, das es hier so etwas gab, aber sie hatten keinen Einfluss auf uns. Ich kenne sie auch nur, weil ich Plattendigger bin. Ich hatte eine ihrer Platten vor Ewigkeiten in der Hand und dachte: Was ist das denn? Das sieht so komisch billlig aus. Die Musik ist ja auch nicht so der Shit. Für mich bewegen sie sich eher in so einer Les Humphries Singers-Tradition – das waren Leute aus allen möglichen Ländern, die hier lebten und Bock hatten, solche Musik zu machen. Es war ordentlich umgesetzt, aber man merkt, dass es eine deutsche Produktion ist. Ich besitze alle ihre Platten und habe noch nicht mal ein gutes Sample gefunden. Da gibt es also keinen Zusammenhang. Da sind die Parallelen zu Udo Lindenberg oder Lothar Meid, dem legendären Musiker und Bassisten aus München, viel größer. Lothar Meid ist zusätzlich der Vater eines Kollegen von uns und hat ja auch mit Udo bei Passport gespielt. Das waren sehr gute Musiker, die vor über 30 Jahren Musik gemacht haben, wie wir sie heute auch noch spielen. Wir kennen sie mittlerweile persönlich und haben sie ausgefragt, wie sie das gemacht haben. Zusätzlich haben wir uns viele Dokus reingezogen und haben dabei einige Parallelen entdeckt.

Wie stehst du zum Sound des DDR-Labels Amiga und den alten Platten von Manfred Krug oder Uschi Brüning?
Das ist wieder genau das, was ich mit Lothar Meid und Udo Lindenberg meinte. Das ist viel originärer und origineller als das, was die Soulful Dynamics oder Les Humphries Singers gemacht haben. Denn die haben ja nur die Standards gespielt, die genauso in New York, Rio, London oder ­Tokio funktioniert hätten. Die Musik aus der DDR hatte hingegen eine eigene Identität. Diese Musik hat etwas mit uns hier zu tun und ist nicht adaptiert. Da steckt der eigene Breitengrad drin. Auch bei Instrumentalmusik von Pass­port hört man den eigenen Sound.

Als Begründer der Szene: Wie stehst du denn zur neuen ­Generation Hamburger Rapper wie Nate57 und Rattos Locos?
Ich kenne die Jungs, weil Ossi [Blacky White, Produzent und Manager von Nate57, Anm. d. Verf.], ­seines Zeichens Master P oder gerne auch Birdman von Rattos Locos, ein OldSchool-Homie von uns ist. Der hat immer bei Tropf im Studio gechillt, schon bei »Mercedes Dance« saß er als Mäuschen in der Ecke, um zu ­lernen. Ich kenne ihn schon bestimmt zehn Jahre und verfolge die Entwicklung der Jungs daher schon seit Ewigkeiten. Aber wenn ich mir die YouTube-Videos von ihnen reinpfeife, finde ich sie auch unabhängig davon wirklich gut. Mich erinnert das alles an uns am Anfang. Telly Tellz finde ich ganz derbe, das ist der Pladdin Mardin von heute. Ich denke, bei denen könnte wirklich was gehen.

In anderen Städten gehen die Rap-Generationen weniger ­respektvoll miteinander um. Warum ist das in Hamburg anders?
Hier ist es vielleicht so, dass die Leute sich generell eher liebhaben und stolz aufeinander sind, als dass sie sich gegenseitig die Fresse polieren. Das hat Hamburg immer ausgemacht. Wäre das nicht so gewesen, wäre ­Hamburg Ende der neunziger Jahre auch nicht so das Überding geworden. Das hat nur funktioniert, weil wir uns alle mochten und gegenseitig supportet haben. Wir haben gemeinsam etwas auf die Beine gestellt. Ich glaube, genauso wie wir von den Generationen vor uns gelernt haben, also quasi von den Bands der Hamburger Schule, die auch zusammengehalten und sich gegenseitig unterstützt haben, so ­lernen die neuen Bands heute von uns. Man kommt mit Liebe eben einfach weiter als mit Hass.

Nach den Achtzigern erfährt Eurodance gerade sein großes Revival. Freust du dich?
Ich habe mich zumindest über die »Dirty Cash«-Single von Dizzee Rascal gefreut. Er hat da meine Lieblings-Eurodance-Hook gepickt (»Money Talks« von Stevie V, Anm. d. Verf). In der Liga gibt es vielleicht noch »Rhythm Of The Night« und das war’s dann auch schon. Mir war immer klar, dass das jetzt kommen muss. Die Achtziger sind durch, die Neunziger stehen vor der Tür. Ich freue mich aber mehr auf die Rückkehr von Doc Martens und Latzhosen anstatt auf Will.I.Am, der Mr. President neu aufmotzt.

Was kommt denn bei dir als ­nächstes? Es kursieren Gerüchte über eine Beginner-Reunion.

Ich werde erstmal das ganze restliche Jahr unterwegs sein, im Herbst fahren wir unter anderem nach Japan. Das Studio- und das Live-Album werden mich also weiter auf Trab halten. Was dann kommt, kann ich erst sagen, wenn das Jahr abgeschlossen ist. Mein Traum wäre es, ein Jahr lang nur Musik zu machen. Wir suchen die ganze Zeit ein Studio dafür. Genauso wie ich mit Dennis und Mad was stylen möchte, will ich mit Disko No. 1 irgendwelche Punk-Sachen ausprobieren und mit ein paar Electro-Vögeln irgendwelche Electro-Sachen machen oder mit Kaspar noch ganz andere Sachen produzieren. Ich will ich mich einfach ein ganzes Jahr lang einschließen und ohne Ziel Musik machen.

Text: Julian Gupta

 

4 Kommentare

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein