»Ich bin kein Rapper, ich bin ein Straßenkind« // Celo & Abdi im Interview

-

Celo-Abdi

 

 

 

 

 

 

 

 


Frankfurt ist HipHop. Seit über zehn Jahren zeichnen Azad und sein Umfeld mit ihrer »Betonklassik« starke ­Bilder der grauen hessischen Realität. So visuell wie Haftbefehl und seine Zöglinge Celo & Abdi hat allerdings noch keiner über das kriminelle Milieu der Mainmetropole gesprochen. Eindrucksvoll schilderten sie auf ihrem ­»Mietwagentape« das Leben jugendlicher Migranten zwischen Hauptbahnhof und der offenen Drogenszene in der Taunusanlage. Anlässlich ihres neuen Albums »Hinterhofjargon« war es nun an der Zeit, diese Schilderungen einer ­Überprüfung zu unterziehen: ein Tag und eine Nacht an der Seite von Celo & Abdi.

Es ist Montagmittag, der Himmel hängt grau über der Stadt. Celo kommt mich am Frankfurter Hauptbahnhof mit einem Kollegen namens Veli abholen. Der Kroate hat miese Zahnprobleme. »Du erkennst an den Zähnen der Leute, was sie hinter sich haben«, wird Abdi später sagen. Jetzt haben wir jedoch ein anderes Problem: »Wir sind mit dem Auto da, aber wir haben alle keinen Führerschein«, erklärt Celo. »Tagsüber ist das ein bisschen stressig. Kannst du fahren?« Klar, kein Problem. Die erste Kurierfahrt geht zu einem nahe gelegenen Bordell, wo ein Fick für 25 Euro zu haben ist. Marihuanarauch durchzieht den Innenraum des Wagens, während Celo mich über seinen Lebensweg aufklärt. Die Eltern waren in den Sechzigern als Gast­arbeiter aus Bosnien gekommen, der Vater war Architekt. »Ich versuche, vom Rappen zu leben, muss aber noch ein paar andere Sachen machen. Mit Rappen alleine verdiene ich noch nicht so viel, dass es reicht.«

Celo ist ausgesprochen freundlich, hat ­jedoch auch praktische Überlebenstipps parat. »Auf eigene Faust brauchst du hier gar nicht losziehen. Du brauchst einen Kontaktmann, sonst wirst du gnadenlos über den Tisch gezogen. Wärst du hier angekommen und hättest vielleicht Gras bei mir kaufen wollen, hätte ich mir erst mal deine Uhr angekuckt. Dann hätte ich gesehen, dass das keine Rolex ist, also hätte ich dich gehen lassen, so wie beim Angeln mit zu kleinen Fischen. Ich hätte mir die Konsequenzen überlegt: zu viel Action, zu wenig Geld. Aber es gibt welche, die auch die kleinen Fische nehmen.« Celo grinst.

Die Pizzeria »Da Cimino« ist laut Celo ein echter Geheimtipp. Hier sind wir mit Abdi verabredet. Man merkt schnell, dass der Sohn marokkanischer Eltern im richtigen Metier arbeitet. Reden kann er und ist sich dessen auch bewusst. Er setzt die Betonungen und Pausen genau richtig und unterstreicht seine Aussagen durch schauspielerische Einlagen. Der hessische Akzent tut sein Übriges. »Wenn ich rede, hören alle zu. Ich bin Entertainer. Ich leide bestimmt an einer unbehandelten Form von ADS. Ihr könnt euch in einer Runde nicht unterhalten, ohne dass ich mich einmische.« Celo hingegen ist eher wortkarg und verkürzt seine Sätze auf die wichtigsten Schlagwörter. Als ich das Diktiergerät auf den Tisch lege, werden beide ein wenig misstrauisch. »Vielleicht sollten wir dir nicht alles erzählen. Wer weiß, welcher Polizeikommissar du bist.« Schon am Hauptbahnhof hatte Celo gefragt, ob ich verkabelt sei. Dann hatte er gelacht. Jetzt beäugt er das Diktiergerät: »Die vom Kommissariat 64, die haben das auch. Nur ist es bei denen kleiner.«

Frankfurt ist Deutschlands Drogenhauptstadt. Auf 10.000 Einwohner kommen hier 116 Rauschgiftdelikte. Dieser Ruf eilt der Stadt voraus: »Wenn die Leute hören, du kommst aus Frankfurt, dann sind die erst mal vorsichtiger.« Neben ihrem musikalischen Ziehvater Haftbefehl werden unter den Frankfurter Rappern gerade Celo und Abdi wegen ihrer Glaubwürdigkeit gefeiert. »Warum sind wir denn authentisch?«, fragt Abdi und liefert die Antwort gleich mit: »Weil es bei uns noch nicht um große Summen geht. Wir haben immer noch Hunger, Mundgeruch, lange Fingernägel. Ich habe nur meinen Stolz, meine Authentizität, meinen Charakter. Wenn einer herkommt und Stress macht, sag ich direkt: Was ist mit Rap? Was HipHop? Ich bin kein Rapper, ich bin ein Straßenkind.«

Auf der Fahrt zurück in die Innenstadt sprechen wir weiter über die Sonderrolle der Stadt. Abdi versucht, die lokale Mentalität in Worte zu fassen: »Frankfurt ist die ­europäische Hauptstadt des Geldes. Nirgends wechselt das Geld so schnell den Besitzer. Wir geben uns nicht damit zufrieden, Schuhe vor der Haustür zu klauen. Wir fahren vier Kilo Gras über die Grenze. Wir setzen alles auf eine Karte. Wenn wir Geld haben, schmeißen wir es raus. Wenn wir kein Geld haben, werden wir depressiv. Dann scheißt man auf Gefängnis und die Konsequenzen.« Aber wie führt der Weg in die Halbwelt? »Du siehst die Älteren, die alle Geld haben und dafür nicht zur Arbeit gehen müssen. Ist doch klar, dass man das auch will«, erklärt Celo.

»Trotz alledem denkt man schon, man ist ein kleiner verwöhnter Bengel, so als gebürtiger Frankfurter«, sagt Abdi. »Ich habe viele marokkanische Freunde, die illegal in Deutschland leben. Die sind jünger als ich, aber komplett auf sich allein gestellt. Deren Mütter leben 2.000 Kilometer entfernt. Die haben hier keine Verwandten und schlafen zu fünft in einem Zimmer. Ich bin in Frankfurt mit Pampers und Penaten-Babypuder auf die Welt gekommen. Mir geht’s blendend. Aber wenn du mit fünf Kanaken in einem Zimmer schläfst, der eine kommt besoffen nach Hause, der andere kommt auf Koks und will gar nicht schlafen und du bist nüchtern und denkst nur an dein Geschäft und deine Papiere – das ist schon schwierig. Das ist wie Knast. Ständig musst du Angst haben, dass jemand die Tür eintritt und das Cracklabor geht in die Luft. Wenn man diese Einblicke hat, dann ändert man seine Gewohnheiten.« »Ich sehe das ähnlich«, pflichtet ihm Celo bei. »Meine Cousins, die in Bosnien im Krieg waren, die hatten eine ganz andere Kindheit als ich. Ich merke das auch bei meinen Verwandten. Der Krieg nimmt einen mit. Die sind einfach anders, das kann man nicht erklären.«

Wir steuern die Breite Gasse an, »das Rotlichtviertel der Innenstadt«, wie es Celo nennt. Mittlerweile ist es dunkel. Kleine Cafés, Internetshops und Bordelle werfen buntes Neonlicht auf den Asphalt. Auch hier ist am Montagabend nicht viel los, außer im Café Kilim, einer vernebelten Kneipe, in der man an kleinen Tischen mit geducktem Kopf zusammensitzt und Karten spielt.  Als ich das Diktiergerät auf den Tisch  lege, sehe ich mich von einem Tischnachbarn wieder mit V-Mann-Vorwürfen konfrontiert. »Keine Sorge, das ist Big Baba. Der hat zwanzig Jahre für Bornheim gekämpft. Sieht man an seiner Daytona-Rolex.« Big Baba hat die Statur des Bären Balu aus dem »Dschungelbuch« und ist nicht minder sympathisch. Ihm fehlt ein Schneidezahn, am Handgelenk baumelt eine dicke goldene Uhr. »Dafür musste ich viel Hektik machen. Die hat mir keiner geschenkt, Bruder«, lacht er. »Du machst also eine Reportage mit den Jungs.« Er klopft seinem bulligen Kollegen auf den Rücken, der sich verdutzt umdreht. »Kuck mal, wie nett der junge Mann hier aussieht. Ein ganz netter Kerl, er hat ein Herz aus Gold.« Baba lacht, sein Kumpel ringt sich ein verschmitztes Grinsen ab.

»Eins musst du noch wissen«, sagt Big Baba. »Alleine am Hauptbahnhof rumlaufen geht gar nicht.« »Da geht’s richtig zur Sache«, ergänzt Abdi. »Nur Junkies, Dealer, Zuhälter, Nutten, Alkoholiker. Das ist ein Dschungel – fressen oder gefressen werden. Wenn in der Stadt nix mehr los ist, versammeln sich alle am Bahnhof. Da geht’s bis 13 Uhr mittags. Die meisten sind auf Koks oder auf Steinen, deshalb sind die noch aktiv. Eure komische Krokodil-Droge gibt es da auch schon. Da sticht dich einer eiskalt für fünf Euro ab.« »Oder einer hat fünf Scheine in der Spielo verloren, dann rempelst du den an und der tickt aus«, sagt Celo. »Spielo ist ein Grund dafür, dass die Leute sehr aggressiv drauf sind«, stimmt Abdi zu. »Ein Typ macht heute 2.000 Euro und denkt, in der Spielo macht er 10.000 draus. Wenn der dann alles verliert und auf dem Weg nach Hause niemanden umgeklatscht hat, klatscht er seine Frau oder Kinder. Viele Familien leiden darunter.« Celo bekräftigt, dass es unter ihresgleichen trotzdem nur selten gewaltsame Auseinandersetzungen gibt. »Hier in Frankfurt zählt dein Mundwerk. Ist das A und O, wichtiger als Kampfsport. Damit kannst du dich überall rausbringen. Aber wenn’s knallt, sind Messerattacken normal. Mit ein paar Messerstichen kommste hier nicht in die ‘Bild’-Zeitung. Aber jetzt lass uns was trinken gehen.«

Wir machen uns auf den Weg in den »Knochenpark«. Die Jungs erklären, dass die Dealer hier ihre Reserven verbuddeln. Junkies und Polizisten mit Hunden würden deshalb nach den Drogenpaketen suchen – daher der Name. Vorher stoppen wir jedoch noch bei Ladenbesitzer Khan. Mit einer Flasche Wodka bewaffnet ziehen wir weiter. Big Baba erzählt mir, dass sich einer seiner Freunde im Knochenpark erhängt hat, nachdem er auf einem Trip hängengeblieben war. »Da bin ich zum ersten Mal in eine Kirche gegangen, Bruder.« Auch Abdi hat bereits eine christliche Kirche von innen gesehen. »Meine Mutter hat gesagt: Man soll offen für andere Religionen sein. Nur weil ich jetzt in dieser Kirche war, bin ich ja kein Ungläubiger.« Ich werde neugierig, wie sich sein Lebensstil mit dem muslimischen Glauben vereinen lässt. »Man muss ja kein Hardliner sein. Es ist doch keine Sünde, junge Menschen sind eben so. Man hat seinen Spaß, dann wäscht man sich sozusagen die Hände und bleibt sauber. Man heiratet, gründet eine Familie und lebt nach den Regeln des Korans. Das ist mein Plan.«

Als wir an den Tischtennisplatten im stock­finsteren Park ankommen, wird die Stimmung nachdenklicher, der Wodka zeigt Wirkung. Mir wird klar, dass die Jungs jenseits aller oberflächlichen Gangstarap-Stereo­typen natürlich auch eine private Seite mit normalen Problemen, Ängsten, Wünschen und Träumen haben. Schon im Auto hatte mir Celo von seinem Bildungshintergrund erzählt, der mit dem Klischeebild des kriminellen Ausländers nichts zu tun hat. Celo hat Fachabitur und angefangen, Bauingenieurwesen zu studieren. »Ich bin dann aber nie hingegangen. Abdi hat die Schule kurz vor dem Abitur abgebrochen. Jetzt verdient er sich was mit einer HipHop-AG an einer Schule dazu. Leider läuft das Leben nicht so, wie man sich das wünscht.« »Ich erzähle dir mal, wie mein Song ‘Verzeih mir Papa’ entstanden ist«, sagt Abdi. »Mein Vater steht um vier Uhr morgens auf und geht am Flughafen arbeiten. Eines Nachts kam ich nach Hause und lag im Bett. Ich hörte, wie mein Vater aufgestanden ist, seine Gebetswaschung und das Frühgebet gemacht hat. Da dachte ich mir: Ich bin doch eigentlich ein junger Mann mit Energie. Ich müsste eigentlich arbeiten gehen, damit mein Vater weiterschlafen kann. Er hat sich immer gewünscht, dass sein Sohn Fußballer wird, so dass er nicht mehr arbeiten gehen muss. Heute redet er nicht mehr mit mir. Früher hab ich Schläge bekommen, danach haben wir wieder geredet. Jetzt denke ich: Bitte schlag doch mal zu. Aber er ignoriert mich.«

Man spürt, dass sein Lebensstil an Abdi nagt. »Ich lebe momentan auf der Überholspur des Grauens, aber richtig krass. Ich hätte gerne ein geregeltes Leben.« »Ich will auch was haben«, sagt Celo. »Auto, Eigentumswohnung, so was. Wenn du eine Wohnung hast und keine Miete zahlst, was brauchst du denn mehr?« Celos Telefon klingelt. Veysel ist dran, ein befreundeter Rapper, der auch zu ihrem Label Azzlackz gehört. Er sitzt gerade eine Haftstrafe ab. Über das Telefon sollen wir noch eine Grußbotschaft aufnehmen. In Freiheit will sich ­Veysel nächstes Jahr ganz der Musik widmen. So habe er einen Fokus und wisse, dass ihn etwas erwartet, wenn er rauskommt. »Jetzt gehen wir aber wieder in die Stadt. Ich stell dir einen Freund von mir vor, der erzählt dir die Geschichte von jedem Junkie am Hauptbahnhof. Der hat seine Ausbildung am Hauptbahnhof gemacht, der hat da schon als 14-Jähriger Crack verkauft. Jetzt verkauft er Gras an der Konsti. Also hat er eine doppelte Ausbildung. So kannst du überall auf der Welt klarkommen. Keiner kann dich über den Tisch ziehen, weil du Frankfurter bist.«

Auf dem Weg in die Stadt kaufen wir eine weitere Flasche Wodka. An der Kasse befinden wir uns mitten in einem Gespräch über Undercover-Kripos. »Viele Kripos sehen aus wie kleine deutsche Kinder, mit diesem Justin-Bieber-Haarschnitt. Es gibt aber auch eine Einheit, das sind so richtige Schränke. Ich würde schätzen, das sind Leute, die es nie zur GSG geschafft haben. Da gibt’s Marcel, Lenz und Sven. Dann gibt’s einen, der heißt Harry Potter, das war so ein kleiner, dünner Lurch mit Brille. Der hat die meisten Jungs hochgehen lassen, weil du nie gedacht hättest, dass er ein Kripo ist. Dann gibt’s einen Streifenpolizisten, den Albert. Der ist mit so einem großen Bus unterwegs und hat meist noch zwei Streifenwagen dabei. Der kommt immer in so Ecken, wo du nicht abhauen kannst. Der hat einen PC dabei für Fingerabdrücke, viele hier sind ja illegale Einwanderer. Es gibt aber auch einen marokkanischen Kripo. Viele Immigranten sind diese 31er. Wenn einer festgenommen wird, der kein Deutsch kann, muss ein Dolmetscher her. Das sind oft die 31er.« Celo erklärt mir anschließend, was im Paragraph 31 des Betäubungsmittelgesetzes steht: Ein Gericht kann Strafen mindern oder von diesen absehen, wenn die »freiwillige Offenbarung seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Tat über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus aufgedeckt werden konnte.« »Lebensbeichte nennen die das«, so Celo. »Wenn einer das macht, kommt er ohne Strafe davon. 31er, das sind die Schlimmsten.«


Für die zweite Flasche Wodka funktionieren wir das Schaufenster eines geschlossenen Ladens in der Nähe der Breiten Gasse zur Theke um. Dann führt mich Big Baba ein paar Häuser weiter in ein Sportwettbüro. Während er hastig ein paar Zettel ausfüllt, taucht plötzlich Abdi wieder auf: »Komm, ich stell dir die Jungs vor.« Auf der anderen Straßenseite haben sich ein paar junge Marokkaner vor einem Friseursalon versammelt. Man sieht ihnen an, dass sie Geld haben. Sie tragen brandneue Windrunner von Nike, einer eine 300-Euro-Nickelson-Weste und dazu passende Sneaker. Die Haare sind frisch rasiert. Gesprächig sind sie nicht. Wir wollen weiter, zu den Jungs an der Konstabler­wache. Als wir uns durch die Gassen ­schlängeln, kommt uns ein finsterer Typ entgegen und zischt: »Hast du?« Abdi grinst: »Der dachte, du bist ein Kunde und hat gefragt, ob ich genug für dich habe.«

An der Konsti kommt ein einsamer Bekannter von Abdi auf uns zu. »Komm mit, da hinten in der Gasse gibt’s was für dich zu sehen.« Ich bin mir unsicher, trotzdem gehen wir ein paar Schritte in die dunkle Seitengasse, die vom Platz aus nicht einzusehen ist. Plötzlich sind wir von acht, neun Jugendlichen umringt. Die Stimmung wird aggressiv. Obwohl Abdi ein Wort für mich einlegt, zieht einer kurz ein kleines Messer, um mir Angst zu machen. Seine rechte Gesichtshälfte ist von zwei riesigen Narben durchzogen. Ich schlage Abdi vor, dass wir besser verschwinden, auch wenn die Stimmung bald wieder gelöst ist. Als wir auf die U-Bahn warten, muss Abdi wieder grinsen: »Der war auf Koks und wollte bisschen Action machen. Aber man sieht, du kommst klar, du schiebst keine Filme. War okay so.« Wir verabschieden uns, es ist jetzt zwei Uhr, Abdi fährt weiter in die Nacht.

Text & Fotos: Stefan Zehentmeier

2 Kommentare

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein