Berlin Rap 2011

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Hauptstadt-HipHop im Wandel

Berlin, Berlin, big city of dreams. Doch Träume zerschellen täglich im Görlitzer Park oder sonstwo an den Rändern dieses Moll-Molochs, in Moabit-West, im Neuköllner Rollbergkiez oder in Hohenschönhauser Plattenbauten. Einen natürlicheren Nährboden für authentischen HipHop kann es in Europa kaum geben, Paris und London mal ausgenommen. Und trotzdem ist Berlin erst in den letzten zehn Jahren zu einem relevanten, nein: zum relevantesten Sammelpunkt der deutschen Rap-Szene geworden.

Berlin übt eine seltsame Anziehungskraft auf das Künstlertum aus. Als Bohème-Metropole seit den zwanziger Jahren mehr oder weniger angesagt, zogen zuletzt auch immer mehr HipHop-Künstler aus der Provinz in die Hauptstadt, ob nun von der schwäbischen Alb oder aus Ostwestfalen-Lippe. Kool Savas hingegen, einst so etwas wie der Prototyp des Berliner Rappers, hat die dreckige Metropole längst verlassen, zugunsten ruhigerer (und verkehrsgünstigerer) Wohnlagen in Westdeutschland. Und doch lebt HipHop in Berlin: durch die Writer, die Tänzer, die Freestyle-MCs, die sich bei der Neuauflage des legendären „Rap am Mittwoch“ treffen, aber auch durch die vielen kleinen Hinterhofstudios oder die Majorlabels mit ihren Lofts und Glasfassaden, die großen Ambitionen ihre gleißenden Projektionsflächen zur Verfügung stellen.

So vielseitig und heterogen sich die Szene auch darstellte, ist die Wahrnehmung von Rap aus Berlin doch immer eindimensional geblieben. Wenn man an Rap aus der Hauptstadt denkt, dann denkt man an Bushido und Fler, an Sido und Frauenarzt. Mit dem programmatischen „Berlins Most Wanted“ zementierten Bushido, Fler und Kay One im Herbst 2010 einmal mehr das klassische Bild des harten Hauptstadtrappers in den Charts. Die Keimzellen dieser Metaphorik bildeten sich in den Neunzigern heraus, als Berliner Rap nur im Windschatten von erfolgreichem Mittelstands-HipHop aus Hamburg und Stuttgart existierte. Labels, Cliquen und Gangs wie Bassboxxx, Royal Bunker oder Die Sekte wuselten nebeneinander her, bis Aggro Berlin den aufkeimenden Hauptstadt-Hype in eine waschechte Unternehmenserfolgsgeschichte ummünzen konnte.

Der Ghetto-Mythenbildung war daneben auch die DVD-Reihe „Rap City Berlin“ zuträglich: In der siebenstündigen Dokumentation stellten sich Camps von Amstaff bis Tempeltainment, von Reinickendorf bis Steglitz weitgehend unzensiert einer breiteren Masse vor – von brutaler Ehrlichkeit und Authentizität war der Schritt zu beschämender Peinlichkeit nicht weit. Berlin, das stand spätestens ab jetzt für Gossendreck und Gegenkultur, für harte Bandagen und unbändige Leidenschaft, für große Schnauze und viel dahinter. Die ultimative Multikulti-Liebeserklärung an ihre Stadt hatten die Harleckinz bereits vor Beginn des Aggro-Hypes mit „Berlin Love“ geschrieben, acht Jahre später veröffentlichte Sera Finale seine ganz eigene „Berlin“-Hymne, die ein differenzierteres Bild der 3,5-Millionen-Metropole zeichnete: „In manchen Bezirken können Worte reichen für ein Loch im Bauch oder einfach in den Bordstein beißen/in anderen können Leute sich nicht entscheiden, noch einen Benz zu kaufen oder kurz mal um die Welt zu reisen.“

Längst brodelt es wieder, nicht nur auf dem vielbemühten Asphalt der von der Maybrit-Illner-Welt so titulierten „Problembezirke“, sondern auch in den beschaulichen Alleen der Mittelschicht-Vororte. Berlin-Rap im Jahr 2011 – dafür steht Prinz Pi, der verschrobene Abiturient aus Zehlendorf, ebenso wie Massiv, der Weddinger Hantelakrobat, oder Megaloh, der Moabiter Straßenjunge mit Intellekt und Eiern. Sie alle sind Berliner, sie alle prägen das Bild von Hauptstadt-Rap im Jahr 2011. Deshalb haben wir uns auf den Weg durch die Metropole gemacht, um sie zu treffen und mit ihnen zu reden. Über den Stand der Kunst. Über HipHop. Und über Berlin.

(Text: Stephan Szillus)

Was nun? Was tun!
Die fetten Jahre sind vorbei. Zehn Jahre nach Beginn des Hypes, der Mitte des letzten Jahrzehnts zur hegemonialen Vormachtstellung Berlins im Deutschrap führte, ist die Hauptstadt zum größten Teil wieder da angekommen, wo einst der Grundstein für den späteren Ruhm gelegt wurde: Im Untergrund. Die Träume vom großen Geld sind für fast alle Rapper, die nicht Bushido, Sido, Fler oder Frauenarzt heißen, ausgeträumt. Kalkulierte Images stoßen zudem auf das breite Desinteresse eines desillusionierten Publikums. Diese beiden Umstände sorgen für eine Rückbesinnung auf die alten Stärken: weniger Berechnung, mehr Ehrlichkeit. Kein Businessplan, dafür eine verdammt große Klappe, eine gute Portion Spontaneität und Punk-Attitüde. Ein Streifzug durch die Bezirke der 3,5-Millionen-Metropole mit Besuchen bei unterschiedlichen Rappern mit ganz unterschiedlichen Ansichten, aber einem gemeinsamen Ziel: sich selbst und die eigene Stadt wieder ganz nach vorne zu bringen.

MACH ONE & KING ORGASMUS ONE

Berlin-Kreuzberg, im K.I.Z.-Studio. Hier hat Mach One seit etwa einem halben Jahr sein Hauptquartier bezogen, und hier haben er und King Orgasmus One das gemeinsame Album mit dem programmatischen Titel „Rap aus Berlin“ aufgenommen. Ein Album, das nicht nur durch sein betont einfach gehaltenes Artwork, sondern auch von der Herangehensweise beim Aufnehmen an glorreiche Bassboxxx-Zeiten in Machs damaligem Studio „Das lätzte Loch“ anknüpft. Eine Woche lang haben sich Mach und Orgi in den Kellerräumen eingenistet. „Wir haben hier gewohnt“, erzählt Orgi. „Ständig kamen Leute zu Besuch, das war wie im Jugendtreff. Nachts haben wir aufgenommen – und sehr viel getrunken!“ Aufnehmen und gemütliches Beisammensein mit Featuregästen wie Jack Orsen, Vokalmatador, Bogy, Hengzt oder K.I.Z. gingen also nahtlos ineinander über, oder wie Mach es formuliert: „Was als Arbeit anfing, artete immer in ein aggressives Gelage aus.“ Zu dieser Reminiszenz an alte Zeiten passt auch, dass die Beats zum Teil acht bis zehn Jahre alt und tatsächlich noch in der Bassboxxx-Zeit entstanden sind.

Für diese Rückbesinnung gab es einen Schlüsselmoment. Auf einer gemeinsamen Autofahrt in Österreich vor einigen Monaten hörten Orgi und Mach Group Home. „Ich saß da, hab diese extremen HipHop-Beats gehört und fand das einfach nur schön“, erinnert sich Mach. „Da ist der Gedanke entstanden, man müsste mal wieder so ein richtiges HipHop-Album machen. Und daraus wurde irgendwann der Gedanke, man müsste mal wieder so ein richtiges Bassboxxx-Album machen.“ Und Orgi, der selbst zuletzt eher durch Ausflüge in elektronische Gefilde und sogar Schlager aufgefallen ist, ergänzt: „Es kommen nicht mehr viele Platten raus, die so richtig schön raplastig sind.“

„Rap aus Berlin“ ist ein klares Bekenntnis zu den eigenen Wurzeln und eine Wiederentdeckung der Faktoren, die Berliner Rap einst groß gemacht haben: Spaß, Spontaneität und Spasten klatschen. Und ganz bestimmt keinen Gedanken an die BPjM verschwenden. „Wir scheißen auf den Index. Das Ding kommt gar nicht in die großen Läden, das wird nur über Untergrundshops verkloppt, genau wie früher.“ Früher war also alles besser und schöner? „Natürlich! Berlin-Rap war früher einfach Männermusik, heute ist es schwule Kacke geworden“, sagt Orgi und lässt seine berüchtigte Lache erklingen. „Jetzt muss man halt kucken, dass man den Spieß wieder umdreht. Früher war Berlin voll Untergrund, dann wurde es auf einmal gehypet. Dadurch hat es seine Einzigartigkeit verloren. Irgendwann ist der Markt eingebrochen. Aber wenn wir es jetzt wieder untergrundmäßig machen, wird es wieder etwas Besonderes sein und der Untergrund kommt wieder hoch. Irgendwann wird es wieder einen Hype geben und es geht wieder von vorne los.“ Ein Teufelskreis?

Vollständig zurückdrehen lässt sich die Uhr allerdings nicht. „Ich habe versucht, meine Parts wieder voll auf das alte Bassboxxx-Level zu bringen, aber ich kann nicht mehr so krass abgehen wie früher, das krieg ich nicht mehr gebacken“, gesteht Mach. Außerdem bezweifelt er, dass sich die alten Zeiten ohne weiteres wiederbeleben lassen. „Wenn man jetzt die alten Sachen hört, denkt man sich, wie schön das klingt. Hör doch mal – das rauscht so schön! Das ist wie bei Oldies. Aber ob man das nochmal so durchziehen kann?“ „Ach, das geht schon“, wischt Orgi Machs Einwände lapidar vom Tisch. „Man muss nur damit klarkommen, dass viele Atzen bei einem rumsitzen, saufen, Drogen konsumieren, den Kühlschrank plündern und die leeren Flaschen stehen lassen. Das überlegt man sich heute allerdings zweimal, ob man sich so eine Woche noch mal gibt. Früher biste in die Disco gegangen und hast zwei Nächte durchgemacht, heute haste schon nach einer Nacht Rücken und Fuß.“ Allen Bedenken und altersbedingten Gebrechen zum Trotz ist sich Orgi aber sicher: „Berlin ist wieder zurück und wird wieder andere Städte ficken. In Sachen Hardcore-Rap“, präzisiert er grinsend. „In Sachen Schwulenrap sind die anderen natürlich Vorreiter.“ Klingt fast, als hatten wir wieder das Jahr 2000.

SCHNITT

Berlin-Charlottenburg, ein ruhiger Hinterhof unweit des Ku’damms. Schnitt, vormals Kaisa, vormals Kaisaschnitt, bilanziert nüchtern die Entwicklung der letzten zehn Jahre. „Es ist wie eine Kurve. Die ganze Scheiße vor 2000 war kein HipHop für mich, diese Ulknudeln aus Hamburg und Stuttgart. 2000 ging’s los, der Untergrund hat Berlin auf die Karte gebracht. Heute kennen die Leute das aber alles, die ganze Gangsterschiene, die daraus entstanden ist, das haben die alles schon gehört. Es gibt in Deutschland auch nicht so viele Ghettos und Schießereien, dass du nicht irgendwann die Schnauze von dieser Musik voll hast.“ Die Entwicklung, die er schildert, spiegelt auch seinen eigenen Werdegang als Künstler wider. Unter seinen verschiedenen Künstlernamen war er von Anfang an dabei – und zwar da, wo es besonders weh tut. Seine frühen Alben „Massengrab“ oder „Stacheldrahtmörder“ waren gerappte Splatterfilme. 2005, auf dem kommerziellen Höhepunkt des Berlin-Hypes, folgte dann der Deal mit Streetlife. Durch direkte Sozialkritik wurden seine Texte für breitere Schichten von Hörern zugänglicher, sein Video zur Single „Hinterhof“ lief sogar auf MTV. Schon bald besann er sich aber wieder auf seine Spezialität, das Hinabsteigen in die Abgründe der menschlichen Seele, das Düstere, Finstere, Dreckige. Das blieb nicht ohne Folgen: Sein letztes Album als Kaisa, „KMK“, landete auf dem Index.

Schnitts neues Album „Der böse Mann“ wird, genau wie „Rap aus Berlin“ von Mach und Orgi, nur über Untergrundläden vertickt. Der Index hat das Nachsehen. „Ich verkaufe meine Sachen über meine Kanäle. Da verkaufe ich meine 2.000 Platten, und bevor irgendetwas indiziert ist, sind alle Platten schon weg.“ Textlich ist „Der böse Mann“ eine Rückkehr zu alter Härte, allerdings, darauf legt der Meister wert, mit den musikalischen Mitteln von heute. „Irgendwann war Berliner Rap nicht mehr innovativ. Es gab halt auch nur drei oder vier Leute, die im Fernsehen regelmäßig zu sehen waren, und wenn so wenige für eine ganze Szene stehen, dann wird es schnell wieder langweilig für die Kids. Also ist die Kurve wieder nach unten gegangen. Aber der Tiefpunkt ist noch nicht erreicht – sonst wären sie alle schon wieder im Untergrund.“

Die jetzige Phase der Neuorientierung und teilweisen Rückbesinnung sieht er durchaus positiv. „Ich finde es cool, wenn man wieder in den Untergrund geht. Dadurch treffen sich auch Leute wieder, die sich von früher kennen, aber vielleicht nichts mehr miteinander gemacht hätten. Dieses Rap-Business hat viele Freundschaften kaputtgemacht. Vielleicht ist das ein Ansatz dafür, dass man in Berlin wieder mehr zusammenhält. Es gibt so viele Fotzen, die nicht aus Berlin sind und alles an sich reißen wollen, den Dicken raushängen lassen und so tun, als ob es Berlin nie gegeben hätte. Wir müssen es ja gar nicht alle miteinander aushalten, aber jeder soll sein Ding machen. Im Untergrund wird das bestens funktionieren“, ist er überzeugt.
Genau wie Orgi glaubt Schnitt allerdings auch, dass die momentane Renaissance letztlich nur eine vorübergehende Phase bleiben wird. „Das wird sich jetzt alles wieder im Untergrund sammeln, neue Künstler werden sich formieren. Und eines Tages sagt sich irgendein A&R-Fuzzi: Boom, der Typ hier hat unfassbar viele Klicks bei YouTube, den holen wir uns. Und dann geht alles wieder von vorne los.“

Es gibt natürlich Wege und Mittel, um von Trends und Zeitgeist-Gezeiten unabhängig zu bleiben. Schnitt hat mit einigen Mitstreitern den KMK-Club ins Leben gerufen, eine über das Internet organisierte Community, der bereits um die viertausend Fans in ganz Deutschland angehören. „In den letzten sieben Jahren habe ich eine ziemlich große und loyale Fanbase um mich geschart. Nun habe ich mit all diesen Menschen, die ja auch so denken und ticken wie ich, einen eigenen Club gegründet. Die Außenwelt ist uninteressant geworden. So ein eigenes Universum sollte jeder sich zulegen.“ Als Anreiz gibt es für die Mitglieder exklusive T-Shirts und Jacken sowie verschiedene Ränge, die durch engagierte Clubarbeit erlangt werden können. Innerhalb dieser Gemeinschaft lassen sich nicht nur eigene Produkte bestens vermarkten, sondern auch Kontakte aller Art knüpfen. Bevor der nächste Hype überhaupt angefangen hat, ist Schnitt also bereits für die nächste Sinnkrise des Berliner Raps gerüstet.

MC BOGY, ISAR, VERO & B-LASH

Berlin-Kreuzberg, eine Ein-Zimmer-Wohnung im Sozialbau. Hier treffen sich Bogy, Isar, Vero und Hausherr B-Lash einmal in der Woche, um ihr gemeinsames Album „BLN“ aufzunehmen. Alle vier kennen sich schon lange, ob durch gemeinsame Bassboxxx-Tage oder von der Straße. Einen gemeinsamen Nenner zu finden, fiel nicht schwer. „Jetzt, wo das Schiff am Sinken ist, verkaufen sich viele. Aber wir verkaufen unseren Arsch nicht“, gibt Bogy die Marschrichtung vor. „Das, was von Berlin-Rap oben ankam, war nicht immer das, was in unseren Augen Berlin richtig repräsentiert hat. Das war kein Rap mehr, das waren Marketinganalysen – kein Disrespekt, aber wir wollen den Spieß jetzt mal umdrehen.“

Erreichen wollen die Vier dieses Ziel mit klarer Kante und ans Schroffe grenzender Ehrlichkeit. Und natürlich mit den Next-Level-Beats von Produzent B-Lash, der schon mit seinem Debüt „Regen“ vor fünf Jahren seinen ganz eigenen Soundkosmos entworfen und seither stetig verfeinert hat. Forcierte Images dagegen gehören nicht zu ihrer präferierten Ausdrucksform. Gerade im grassierenden Hang zu übertriebener Selbstdarstellung sehen sie einen der Hauptgründe für den Niedergang von Berlin-Rap. „Das hat unserem Rap die Authentizität genommen. Denn es hat Leute nach oben katapultiert, bei denen nach kurzer Zeit durchschaubar war, dass es nur um ein Image geht. Irgendwann war es dann abgegessen. Jetzt ist es mal wieder Zeit, dass etwas Echtes hochkommt“, stellt Bogy fest. Wen er damit meint, liegt nahe.

Der Konkurrenz hingegen unterstellt er einen Hang zum Opportunismus. „Man hat es ja gesehen: An dem Tag, an dem Gangsta out war, waren sie auf einmal alle keine Gangsta mehr. Plötzlich haben sie sogar mit dem Finger auf uns gezeigt. Aber als man damit noch Gold gegangen ist, waren alle mit Knarre auf dem Cover unterwegs und jeder war Koksdealer.“
Wie roh und unverfälscht erscheinen da im Vergleich die glorreichen Anfänge, sozusagen die Gründerjahre um 2000. „Als ich angefangen habe, war alles echt“, erinnert sich Vero. „Ich bin damals mit einem Kumpel in den Köpi-Keller gegangen. Plötzlich kam ein dicker Glatzkopf auf die Bühne und hat dem Moderator eine gegeben, weil der irgendeinen Quatsch gelabert hat. Mein Kumpel meinte, das ist Bogy. Da dachte ich mir, der macht ja wirklich das, was er in seinen Texten erzählt.“ „Moment mal“, fällt der stets zu Scherzen aufgelegte Bogy ihm mit gespielter Empörung ins Wort. „Meinst du mit ‘dicker Glatzkopf’ etwa mich? Du wolltest wohl sagen: ‘Der gutgebaute 140-Kilo-Mann, der mit einem Flickflack auf die Bühne gesprungen ist’.“ Minutenlanges Lachen.

„BLN“ soll kein kurzfristiges Projekt sein, sondern ist auf längerfristige Zusammenarbeit angelegt. Schon durch den Titel erhebt „BLN“ unmissverständlich den Anspruch, Berlin als Ganzes zu repräsentieren. Laut B-Lash gäbe es auch keinen anderen, der dafür besser geeignet wäre. „Wir sind Underground-Kings. Egal, ob Musik oder Straße, wir haben gute Connections zur Szene. Wir genießen Ansehen. Obwohl wir die meistgehasste Stadt sind, können wir uns überall zeigen und sind überall in Deutschland gern gesehen. Das können nicht viele von sich behaupten. Deswegen können wir uns auch BLN nennen, ohne uns lächerlich zu machen.“

Den Zeitpunkt für den Zusammenschluss hält Bogy für günstig. „Viele springen gerade ab, vor allem die, die nur aus kommerziellen Interessen dabei waren. Das ist eine Chance. Wenn etwas kaputtgeht, bildet sich immer etwas Neues. Und das ist BLN. Wir sind die Trümmerfrauen.“ Ob es auch dieses Mal wieder zu einem Wirtschaftswunder reicht? B-Lash jedenfalls erteilt allen Hoffnungen auf ein Berlin-Revival eine glatte Abfuhr. „Berlin-Rap kann nicht zurückkommen, denn Berlin-Rap war nie weg. Zurück wohin? Alles Unsinn. Wartet nicht auf den Messias, ändert selber was“, lautet seine knappe Empfehlung. Frag nicht, was Berlin für dich tun kann…

CHEFKOCH & ASEK

Berlin-Prenzlauer Berg, am Denkmal von Ernst Thälmann. Chefkoch kaut genüsslich auf einem halben Broiler herum. Längere Zeit war es still um den Rapper von der Kaosloge. Nach deren letztem Album „Keine Menschen“ (2005) hat er, genau wie seine Kumpanen, erst mal eigene Wege eingeschlagen. Aber nun soll es vorbei sein mit der Ruhe, sein lange angekündigtes Album „Friss oda stirb“ soll nächstes Jahr erscheinen. Dass die Zeiten der überhöhten Images offenbar vorbei sind, kommt ihm gerade recht. „Für mich ist das Zauberwort Echtheit“, erklärt er. „Ich würde mich nicht als was hinstellen, nur weil es kommerziell besser ankommt. Rap ist für mich, deine Sicht der Dinge über ‘nen coolen Beat in ‘nem coolen Flow darzustellen. Das kann was Persönliches sein oder ein geiler Battle-Rap.“ Insofern hat Chefkoch auch gar nichts dagegen, dass die Zeichen in Berlin wieder auf Untergrund stehen. „Ich finde es cool, dass es wieder zurückgeht. Der Hype war da, klar, aber es ist Zeit, sich wieder auf die Basics zu besinnen.“ Basics heißt bei Chefkoch wohlgemerkt: ein DJ, ein MC. „Da brauchste doch keine tanzenden Mädels“, findet er.

Aufstieg und Fall von Berlin-Rap hat Chefkoch aus nächster Nähe erlebt, mit seinen Jungs von der Kaosloge war er immer mittendrin. Props hat sich die vielköpfige Crew mit Ben Salomo, Asek, Mike Fiction, DJ Pete und eben Cheffe massenhaft erarbeitet, der große kommerzielle Durchbruch allerdings blieb ihr verwehrt. Zu Unrecht, wie Chefkoch findet, der außerdem der Meinung ist, viele Künstler hätten ihren Majorvertrag nicht wirklich verdient gehabt. „Es wurde so viel rumgeflunkert, Leute haben was weiß ich erzählt, wer sie sind. Die Leute kaufen ihnen das jetzt nicht mehr ab. Man will ja keine Scheiße hören. Man will ja nur gute Musik hören.“

Krise als Chance – auch Chefkoch sieht den Neustart durchweg positiv. „Ich finde es cool, man muss eben die Augen offen halten. Man kann ja alles selber machen, man braucht keinen Major“, ist er sich sicher. Kaoslogen-Kollege Asek kommt dazu, sein zweites Soloalbum ist ebenfalls in der Pipeline. „Der Goldrausch ist zwar vorbei. Aber man muss einfach sein Ding machen, auch wenn es jahrelang nicht klappt“, appelliert Asek an die Durchhaltefähigkeit. „Genau wie bei mir. Aber wenn man nicht das Herz hat und nur ans schnelle Geld denkt, verschwindet man schnell wieder.“ Überhaupt – war da was? Chefkoch stellt den bisherigen Erfolg einfach mal komplett in Frage. „Ist Berliner Rap damals denn überhaupt so hoch aufgestiegen? Vielleicht kommt er ja erst noch. So weit oben ist er bisher doch gar nicht gewesen.“ Neben Chefkochs erstem und Aseks zweitem Soloalbum ist ja auch ein neues Logen-Album in Planung.

BEN SALOMO & „RAP AM MITTWOCH“

Berlin-Kreuzberg, im Büro der Streetwear-Marke Stoprocent. Hier arbeitet Chefkochs und Aseks Logenbruder Ben Salomo seit einiger Zeit. Die Idee, die legendäre Freestyle-Veranstaltung „Rap am Mittwoch“ nach zehn Jahren neu zu beleben, kam beim Vorstellungsgespräch auf. Sein neuer Arbeitgeber zeigte großes Interesse an genau dieser Referenz in Ben Salomos Lebenslauf und schlug ihm eine Wiederbelebung vor. Zunächst unschlüssig, ob er das Risiko eingehen sollte, hörte er schließlich auf den Rat seiner besten Freundin Beety Rap und richtete eine Facebook-Gruppe ein. Die Vorgabe: Treten fünfzig Leute ein, wird „Rap am Mittwoch“ seine Wiederauferstehung feiern. Gesagt, getan. Zwar erhöhte Ben Salomo das erforderliche Quorum zwischendurch auf hundert, als diese Zahl aber schließlich auch erreicht war, gab es keine Ausreden mehr.

„Man kann sich die Veranstaltung damals nicht vorstellen wie die heutige. Gut, jeder konnte ans Mic gehen und sich präsentieren, niemand wurde ausgebuht. Man hat sich connectet und kennen gelernt. Daran hat sich nichts geändert. Aber das war ein kleiner Raum, da waren nur um die 40 Leute.“ Die jedoch hatten es in sich. Basstard, Frauenarzt oder Orgi machten im Keller der UFA-Fabrik ihre ersten Schritte, Tony D. war meistens da, und auch die Sekte um Sido gehörte zu den Stammgästen. Sogar ein gewisser Bushido soll hin und wieder zugegen gewesen sein, ans Mic ging er jedoch nicht. Nachdem Orgi sein legendäres Fotoshooting für das „Es gibt kein Battle“-Cover mit einer wilden Horde teilweise recht verwegener Gestalten durchgezogen hatte, bekamen die Betreiber der UFA-Fabrik jedoch kalte Füße. „Rap am Mittwoch“ war Geschichte – vorerst zumindest.

Wer sich heute auf den Weg zur Nachfolgeveranstaltung macht, erlebt ein außergewöhnlich hochwertiges Freestyle-Battle. Das technische Niveau ist hoch, der Umgangston Berlin-typisch gnadenlos. Die verbalen Attacken zielen direkt auf die Schwachpunkte des Gegners, sei es seine Kleidung, seine Frisur oder sein Job. Trotzdem ist die Atmosphäre zwischen den Kontrahenten von sportlicher Fairness geprägt. Jeder zollt treffsicheren Punchlines seines jeweiligen Gegners Respekt, bei lustigen Lines ist sich keiner zu schade, auch mal zu lachen. Zu diesem respektvollen Umgang trägt Ben Salomos geradezu salomonische Art zu moderieren viel bei, immer wieder fordert er Kontrahenten wie Publikum dazu auf, auch dem Unterlegenen Props zu geben.

„Bei uns wird niemand ausgeschlossen oder gehatet, das unterbinde ich sofort. Als Jude, als Israeli, kenne ich mich mit Vorurteilen aus, deswegen standen Toleranz und Respekt bei mir schon immer an erster Stelle.“ Ben Salomo will nicht zu hoch greifen, hofft aber dennoch auf eine nachhaltige Wirkung von „Rap am Mittwoch“. Großes Vorbild ist die renommierte „Lyricist Lounge“, die in den neunziger Jahren zahllose New Yorker Talente formte und bekannt machte. „Vielleicht werden Berliner Rapper in ein paar Jahren sagen: ‘Rap am Mittwoch’ war mein Anfang, da ging es bei mir los. Ich hoffe, es kann die Leute wieder motivieren. Gier, unser aktueller King, war lange komplett raus, nach ‘Feuer über Deutschland’ war er enttäuscht. Dann kam er zu ‘Rap am Mittwoch’, wollte nur ein bisschen freestylen, holte sich beim zweiten Mal gleich den Titel und ist unser aktueller King. Das hat ihn wieder hungrig gemacht.“ Sorgen, dass Berlin in Sachen Rap künftig nichts mehr zu melden haben könnte, macht Ben Salomo sich nicht. „Berlin hatte seine Explosion, und wie bei einem Vulkan braucht es erst mal eine kleine Pause, bis sich wieder genug explosives Material angestaut hat.“ Ein Stauraum kann hierbei sicherlich „Rap am Mittwoch“ sein. „Es ist wie ein Marktplatz. Deshalb kann es durchaus dazu beitragen, dass es wieder explodiert.“

CRACKAVELI & HARLECKINZ ENTERTAINMENT

Berlin-Charlottenburg, im Studio von Harleckinz Entertainment. Hier hat Crackaveli im Sommer sein neues Album „Jugo Betrugo“ aufgenommen, für das er sich unter anderem Beats von The Krauts, Joe Rilla sowie dem Hamburger Larsmellow geholt hat. Auch er war einige Jahre komplett vom Radar verschwunden, nachdem er mit Shok Muzik zwischen 2005 und 2007 zwar einen bleibenden Eindruck hinterlassen, den kommerziellen Durchbruch jedoch verfehlt hatte. „Das hat hier damals gekocht“, erinnert er sich heute an die turbulenten Tage zurück. „Geld haben nicht viele verdient, aber es gab so unfassbar viel Rap, das war ein richtiger Massenwahn. Und jeder hatte seine Fanbase, egal ob Bogy, Kaisa oder Shok Muzik.“

Von einer Fanbase allein kann man allerdings weder die Miete bezahlen noch den Kühlschrank füllen, weshalb Crackaveli sich zwischenzeitlich anders orientieren musste. Losgelassen hat ihn die Musik allerdings nie, ihn, der sich selbst als Musikfanatiker bezeichnet. Schon mit elf Jahren besuchte er Konzerte von Ice Cube und lernte dank älterer Freunde auch viele Rap-Stars hinter der Bühne kennen. Diesen Sommer schließlich, während alle anderen am nächsten See Erfrischung suchten oder Fußball schauten, schloss Crackaveli sich im Studio ein und nahm sein erstes Soloalbum auf. „2010 ist ein Comeback-Jahr: Eric Clapton, Chris de Burgh, Joe Cocker“, grinst er. „Was die anderen Jungs hier in Berlin angeht, da wird noch was kommen, das weiß ich. Da schlummert noch was. In Berlin kannst du nie wissen, die Stadt ist sehr hinterhältig. Auf einmal kommt was um die Ecke. Vielleicht trage ich auch meinen Teil dazu bei, anderen Mut zu machen und sie zu motivieren.“

Dass noch Glut vorhanden ist, die jederzeit wieder entfacht werden kann, daran hegt Veli keinerlei Zweifel. „Ich denke, jemand hat gerade auf Pause gedrückt, aber noch nicht auf Stop. Alle sammeln sich noch und kucken, wo sie hingehen. Wir sind ja alle ein bisschen älter geworden.“ Und zunehmendes Alter heißt eben meist mehr Verantwortung. Crackaveli weiß das selbst am besten, er hat mittlerweile drei Kinder. Seine Texte sind reifer und weniger plakativ geworden. „Man wird älter und nachdenklicher. Ich mache immer noch Rap von der Straße, da kommt HipHop ja auch her, aber nicht mehr so extrem. Damals hat das voll Bock gemacht, ich war jung und finster drauf. Aber in der Hinsicht muss ich niemandem mehr was beweisen.“

Crackaveli hat nicht nur seine eigene Entwicklung im Blick, sondern wagt auch eine Prognose für Berlin-Rap über die nähere Zukunft hinaus – und die fällt sehr optimistisch aus. Wie bei der deutschen Nationalmannschaft heißt das Zauberwort Nachwuchstalente. „Ich mach jede Woche Workshops mit den Kids. Die sind krass talentiert. Die schreiben echt schnell und kommen mit den miesesten Ideen. Wir sind ja damals mit Ami-Rap aufgewachsen. Die Kids heute wachsen mit deutschem Rap auf. Die stoßen als erstes auf Bushido oder Sido und hören den ganzen Tag nur deutschen Rap. Denen fällt es viel leichter, einen deutschen Text zu schreiben. Berlin hat noch viel Potenzial. Das Magazin hat gerade Ladehemmung, aber es stecken noch genug Patronen drin.“ Die nächste Kugel im Lauf ist also nur eine Frage der Zeit.

Text: Oliver Marquart
Foto: Murat Aslan

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