»Wenn du einen Samba-Musiker fragst, dann wird er dir sagen, dass er seine Musik machen wird, bis er im Grab liegt. So geht es mir mit HipHop.« // Assasin Interview

-

juice129_Assassin2-Kopie

Rockin’ Squat ist in Frankreich eine Legende. Er ist der Bruder des ­Schauspielers Vincent Cassel, den man hierzulande zumindest aus der Banlieue-Saga »La Haine« kennen sollte. Mit MC Solo gründete er 1985 die Band Assassin, zu ihnen stießen später Doctor L und DJ Clyde. ­Neben IAM und NTM gehören Assassin unbestritten zu den einflussreichsten Bands der französischen HipHop-­Geschichte. Zu ihrem 25-jährigen Jubiläum veröffentlichen sie dieser Tage die Live-CD und -DVD »Assassin à L’Olympia« über das bandeigene Label Livin’ Astro. Neben Squat und Solo standen bei dem aufgezeichneten Konzert auch DJ Duke, Prophecy, Lyricson und Cheick Tidiane Seck als Gäste auf der Bühne der legendären Pariser Konzerthalle. JUICE-Korrespondent Fred Hanak plauderte mit Rockin’ Squat über 25 Jahre Assassin.

Was hat dich Mitte der Achtziger an HipHop besonders angezogen?
Ich war damals ja noch ein kleiner Junge. Die ­Bewegung hat mir erstmals die Möglichkeit gegeben, mich selbst auszudrücken – zunächst durch Graffiti und Breakdance, später durch Rap-Texte und Bühnenperformances. Ich lebte Anfang der Achtziger in den USA, und HipHop war dort einfach die stärkste Jugendbewegung. Als ich dann nach Frankreich kam, steckte HipHop hier noch in den Kinderschuhen. Zusammen mit Assassin hatte ich die ­Gelegenheit, die Kultur, die ich kennen gelernt hatte, auch in Frankreich zu verbreiten. HipHop hat mir immer erlaubt, zu wachsen und mich weiter zu entwickeln, vom Kind über den Jugendlichen bis zum ­erwachsenen Mann, der ich heute bin.

Es gibt von der Langlebigkeit her kein ­wirkliches Äquivalent zu Assassin. Ihr seid die einzige OldSchool-Band, die so lange dabei und immer noch aktiv ist.

Na ja, in Frankreich gibt es vielleicht kein Äquivalent, aber in den USA durchaus. Es ist zwar sehr schmeichelhaft, dass du das sagst, aber gleichzeitig ist das sehr negativ für die französische Szene. Wir haben hier eben keine 50 Bands, die seit über 20 Jahren ihr Ding machen. Und aus diesem Grund wissen viele junge Künstler und Fans auch gar nicht mehr, was vor 20 Jahren angesagt war. Das hat wohl damit zu tun, wie HipHop hier in Frankreich angekommen ist. Wir hatten nie ein starkes Fundament, auf dem französischer HipHop aufgebaut werden konnte. Solo und ich haben Assassin gegründet, weil wir beide gut Englisch sprachen und häufig im Ausland waren, speziell in den USA und New York. Wir hatten einen direkten Draht zu den Vätern der HipHop-Bewegung: Afrika Bambaataa, Crazy Legs von der Rock Steady Crew, T-Kid oder Seen. Ich habe in New York selbst U-Bahnen gemalt, ich habe mit New Yorker MCs im Park gefreestylet, ich hing im »Roxy« oder im »Latin Quarter« [legendäre New Yorker HipHop-Clubs, Anm. d. Verf.] herum. Auch Solo ist ein originaler B-Boy [z.B. wurde seine ­Silhouette für das Tommy Boy-Logo verwendet, Anm. d. Verf.]. Wir kannten die Geschichte unserer ­Kultur: Last Poets, Gil Scott-Heron, Disco-Musik. Wir haben in New York so viel gelernt, dass wir genau wussten, was wir wollten, als wir nach Frankreich kamen. Wir ­hatten eine »Fuck you«-Einstellung und haben ­einfach das erste französische Rap-Indielabel ­gegründet. Bei uns ging es immer schon um Leidenschaft und eine enge Verbindung zur Kultur. Deswegen sind wir auch immer noch aktiv – das ist nichts, was wir machen wollen, sondern wir müssen es tun, denn wir fühlen uns dazu verpflichtet.

Eure Fans stammen allerdings nicht nur aus der HipHop-Szene.
Richtig. Wenn du dir die Crowd auf der DVD anschaust, dann siehst du Menschen im Alter von sieben bis 77 Jahren. Junge Eltern, die ihre Kinder mitbringen. Ältere Brüder, die ihre kleinen Geschwister dabei haben. Wir sind eine Band, die alle ­Generationen interessiert, weil es wie ein Erbe ist, das immer weitergegeben wird. Wir haben nie unsere Werte verraten oder unsere Qualität eingebüßt. Wir haben immer noch jede Menge Energie. Und das kann man bei unseren Konzerten erleben.

Man kennt Assassin weltweit, ihr habt ein ­Video zu »France à Fric« mit Cheick ­Tidiane Seck in Mali gedreht. Ist diese gelebte ­Internationalität ein Schlüssel zu eurem Erfolg?
Ich definiere mich selbst nicht als Franzosen. Das liegt natürlich einerseits daran, dass ich auch ­brasilianische Wurzeln habe. Aber es liegt vor allem daran, dass ich schon in jungen Jahren viel gereist bin. Ich vertrete eine internationale ­Geisteshaltung, für mich gibt es keine Grenzen in der Musik. ­Assassin war ein erfolgreicher Exportartikel in ­andere ­Regionen, weil man unsere Melodien und Flows auch in Ländern fühlen kann, wo man kein Französisch spricht. Und wir geben den Menschen eine spezielle Energie, gerade auf der Bühne. Das war immer sehr wichtig für uns.

Der Lieblingstrack aller Verschwörungstheoretiker ist »Illuminazi 666«, von dem man im Netz auch Übersetzungen ins Spanische, Englische und Portugiesische findet. Ist euch klar, welchen Einfluss ihr damit auf eure Fans ausübt?
Mir ist das durchaus bewusst. Kunst kann einen sehr großen Einfluss ausüben, daher gebe ich stets acht darauf, was ich in meinen Texten sage. Ich selbst wurde in meinem Leben sehr berührt von Menschen, die auf der anderen Seite des Planeten leben und spirituell wie körperlich von ganz anderen Orten kommen. Musik, Malerei, Filme, Literatur – das sind Dinge, die bleiben. Vielleicht wird man in 100 Jahren noch Assassin-Texte studieren. Ich habe 1992 einen Track über Umweltzerstörung ­geschrieben. Das hat damals in Frankreich keine Sau interessiert, heute spricht jeder davon. Daher wähle ich gerne Themen, die sich mit den echten Problemen der Menschheit auseinandersetzen. Unsere Klassiker sind keine Hits im herkömmlichen Sinne, sondern Songs, mit denen sehr viele ­Menschen inhaltlich etwas anfangen können.

Hast du mal ans Aufhören gedacht? Viele Rapper sagen ja, dass man jenseits der 40 damit abschließen sollte. So wie bei Fußballspielern.
Ach, das ist wieder so eine typisch französische Haltung. Aber da ich mich ohnehin nicht als ­Franzose begreife, fühle ich mich auch nicht von dieser Mentalität eingeschränkt. Wenn du einen Samba-Musiker fragst, dann wird er dir sagen, dass er seine Musik machen wird, bis er im Grab liegt. So geht es mir mit HipHop. Ich werde doch nicht die Kunst verleugnen, mit der ich die letzten 20 Jahre meines Lebens verbracht habe. Ich mache zwar ­immer mal wieder Pausen, und diese ­Pausen ­werden im Verlauf meines Lebens auch ­immer ­länger. Aber am Ende komme ich immer wieder ­zurück zu meiner Kreativität und meiner Kunst.

Wie du bereits erwähntest, habt ihr mit ­Assassin das erste Indielabel der ­französischen Rap-Szene gegründet. ­Inzwischen heißt es Livin’ Astro…
Ja, Livin’ Astro hat Assassin Productions im Jahr 2004 abgelöst. Wir haben immer noch die gleichen erfahrenen Leute bei uns und können auch auf den kompletten Back-Katalog von Assassins Production zugreifen. Aber gleichzeitig herrscht ein neuer Vibe. Wir veröffentlichen meine Soloalben und die Platten von Künstlern wie DJ Duke, Profecy, der brasilianischen Band Z’Africa Brasil, dem Soundsystem Bad Man Talk und von Cheick Tidiane Seck. Im September 2010 wird bei Livin’ Astro mein eigenes nächstes Projekt erscheinen, es ist der Abschluss meiner Solo-Trilogie mit dem Namen “Confession d’un Enfant du Siècle”.

Welche Künstler sind es, zu denen eine ­HipHop-Legende noch aufschaut?
Es gibt so viele. Aber ich nenne einfach mal einige, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Über allem steht für mich Fela Kuti, weil seine musikalische und politische Wirkung so immens war. Dann kommen Künstler wie Bob Marley, Michael Jackson, Quincy Jones, James Brown, Herbie Hancock und Lee »Scratch« Perry. In Sachen HipHop würde ich vor allem Marley Marl, The RZA, Dr. Dre, J Dilla, Timbaland und DJ Premier nennen. Aus der jüngeren Geschichte fallen mir insbesondere The Alchemist und Mannie Fresh ein. Im neueren Dancehall gibt es Sizzla, Mavado oder Vybz Kartel. Dann wären die Racionais MCs zu nennen, seit 1988 die wichtigste Rap-Gruppe Brasiliens. Aber genauso könnte ich jetzt stundenlang mit dir über den Einfluss eines House-Pioniers wie DJ Larry Levan reden, über Gilberto Gil, Antonio Carlos Jobim, Lalo Schifrin oder Celia Cruz. Wie gesagt, die Liste ist unendlich…

Text: Fred Hanak

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein