»Ich bin der King in Deutschland in dieser Rap-Sparte.« // Azad im Interview

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Im November 2009 endete ein weiteres Kapitel Deutschrap: Bozz-Music war Vergangenheit. Damit ging das große Labelsterben weiter. Royalbunker, Aggro, Optik, Deluxe und Bozz – diese Namen hätte man vor Jahren auf Tonträgern erwartet, die irgendwann an der Spitze der Charts stehen – und nicht auf Grabsteinen auf dem Friedhof der Musikindustrie. Einige Monate nach der Labelschließung befindet sich Azad gerade auf dem Weg ins Studio. Er steckt mitten in den Aufnahmen für »Azphalt Inferno 2«. Heute kommt Tone vorbei, morgen wird das Feature mit Snaga aufgenommen. Es scheint so, als sei Frankfurts König der Blocks von einer Last befreit. Ohne die Last, ein Label führen zu müssen, ist Azad wieder ganz Künstler. Für 2010 sind drei Releases von ihm geplant. Den Labelboss mag es derzeit nicht mehr geben, aber der Künstler Azad ist voll motiviert und fordert deutlicher denn je seinen Platz an der Spitze des Spiels ein.

Wie ging es bei dir nach der Bozz-Schließung weiter?
Erst mal war eine gute Weile Depri-Stimmung bei mir und bei den Künstlern angesagt. Das Label zu schließen hat uns sehr traurig gemacht. Aber am Ende war es eben unvermeidbar. Das Feedback auf der anschließenden Tour hat mich enorm gefreut. Ich hatte das Gefühl, dass die Leute mir den Rücken stärken und trotz allem hinter mir stehen. Wir werden also weiter Musik machen und sie werden uns weiter supporten. Ganz einfach.

Was hat sich für dich konkret an Veränderung ergeben?
Der Unterschied zwischen uns und anderen Labels ist einfach der, dass wir vorher schon ein Team waren und bis heute geblieben sind. Meine Leute kannte ich weit vor meiner Zeit als Labelboss. Unsere Basis ist Freundschaft. Von daher ändert sich eigentlich gar nichts zwischen uns. Was ich geschäftlich als nächstes machen werde, weiß ich derzeit noch nicht.

Würdest du aus heutiger Sicht ­eigentlich sagen, dass du den ­Arbeitsaufwand und die Probleme, die so ein Label mit sich bringt, ­unterschätzt hast?
Ich war am Anfang zu naiv. Ich habe das Label gegründet, aber in dem ­Augenblick habe ich mir nicht viel weiter Gedanken gemacht. Ich dachte mir einfach nur: Das ist eine geile Idee. So kann ich mir mein Dreamteam zusammenbauen und meine Jungs unterstützen. Das war Grund genug, alles andere war zweitrangig. Wir wollten die Welt übernehmen.

Glaubst du, Bozz gäbe es heute noch, wenn du deine Output-Rate schon vor Jahren erhöht hättest?

Ich habe eben über die Jahre eine gewisse Routine bekommen und gelernt, schnell zu arbeiten und mich konstant zu verbessern. Aber auch wenn ich viele Platten veröffentliche, macht es keinen Sinn, ein Label zu führen, wenn nur der Inhaber durch seinen Output das Label am Leben erhält. Dafür braucht man keine Plattenfirma. Das Label sollte diesen Dreamteam-Wunsch verwirklichen und die besten Leute um mich herum sammeln.

Du hast dich in letzter Zeit sehr realistisch gegeben und davon gesprochen, dass du dich ­mittlerweile auf die geringeren Verkaufszahlen eingestellt hast.
Ich habe in allen Bereichen extrem zurückgeschraubt, sei es privat oder geschäftlich. Ich bin auch als Mensch auf einen anderen Trichter gekommen und brauche manche Dinge heute gar nicht mehr. Das geht schon. Die letzten Platten, die ich gemacht habe, brachten mir am Ende einfach mal keinen Euro ein. Das muss man sich mal vorstellen: Man geht ein halbes Jahr jeden Tag zur Arbeit und am Ende kommt der Chef und sagt: »Sorry, es gibt dieses Mal nichts. Wir können dir keinen Lohn zahlen.« Das frustriert einen doch so sehr, dass man alles hinschmeißt, geht und nie wieder kommt. Da das in meinem Fall nicht möglich ist, kann ich nur die Konsequenz daraus ziehen, realistisch zu kalkulieren und mit mehr Überlegung weiter zu arbeiten. Ich kann mir heute keine superkrass teuren Videos mehr leisten. Zum Glück hat sich die Technik enorm weiterentwickelt und wir können mit günstigen Mitteln qualitativ hochwertige Videos drehen, was früher nicht ging. Aber so tief wie ich zum Beispiel für ein Video wie »Alarm« in die Tasche gegriffen habe, werde ich nie wieder greifen. Ich werde mir im Internet-Zeitalter auch dreimal überlegen, ob sich so eine große Plakatierung, wie wir das in der Vergangenheit vor jedem Release gemacht haben, wirklich lohnt. Am Ende soll etwas verdient werden, also müssen die Ausgaben drastisch minimiert werden, um den geringeren Verkäufen zu begegnen, damit am Ende ein Profit bleibt. Ich will Musik machen, ohne dass es ein krasses Problem für mich wird, über die Runden zu kommen. Natürlich hofft man, dass sich das ­irgendwann wieder ändert und die Zahlen nach oben gehen.

Hast du da noch Hoffnung?
Hoffnung habe ich solange, wie ich mir alle anderen Rapper in Deutschland anschaue und sehe, dass ­höchstens ein bis zwei Mann auf dem Level arbeiten können wie ich. Solange hoffe ich. Ich weiß ja, dass ich in dem, was ich mache, ­außerordentlich gut bin und was für Qualität meine Musik hat. Solange die Musik gut ist, werden Leute das honorieren und meine Platten auch kaufen. Davon bin ich fest überzeugt.

Wie erklärst du dir den Wandel in der deutschen Rap-Szene und das Ende der Straßenrap-Ära?
Das liegt einfach daran, dass jeder Zweite, der irgendwelche Sachen auf der Straße gedreht hat, sich dazu berufen fühlte, einen Reim an den anderen zu kleben und so auf legale Art und Weise Geld zu verdienen. Die Jungs dachten sich, dass ihr Straßenbackground eben ausreicht, weil es bei anderen Leuten gut funktioniert hat. Das hat am Ende den Pool an Straßenrappern enorm verunreinigt. Irgendwann war das Thema ausgereizt und bei den Leuten ist der Eindruck entstanden, dass Straßenrap mit Dreck gleichzusetzen ist. Aber das ist nicht der Fall. Straßenrap an sich ist kein Dreck, es sind bestimmte Leute, die das Niveau ins Bodenlose gesenkt haben. So lange man Straßenrap gut macht, wird er weiterleben, egal in welche Richtung man in Zukunft geht. Das wirst du mit allen anderen Trends genauso erleben. Das war mit dem Backpack-Rap so, und es wird mit dem Atzen-Electro-Mallorca-Techno-Rap genauso gehen. Irgendwann werden die Leute sagen: »Das macht doch jeder!« Dann wird der Hype abebben. Wenn das vorbei ist, werden sich die Leute überlegen müssen, ob sie bei ihrer Musik bleiben oder dem nächsten Trend hinterherhecheln wollen. Ich finde es eh schwul, irgendwelchen Trends blind nachzurennen, seien das jetzt Klamotten oder Musikstile. Irgendwann ist der Trend vorbei und man steht im Abseits. Auf diesen Blödsinn wollte ich mich nie einlassen. Ich mache die Musik, die mir gefällt und trage die Klamotten, die mir gefallen. Ich glaube, Menschen mit dieser Einstellung sind wahre Künstler. Ich meine, wer geht schon zu Grönemeyer und erklärt ihm, dass seine Musik nicht mehr im Trend liegt? Am Ende setzt sich Qualität immer durch.

Kannst du erklären, woher in der deutschen Rap-Szene diese extreme Trendfixierung kommt?
Na ja, die breite Masse folgt Trends, weil sie keine eigene Meinung hat. Die Leute sind ein bisschen wie Schafe. Die Leute gehen den Weg, den auch die Leute links und rechts neben ihnen gehen. Bis sie vielleicht irgendwann ihren eigenen Horizont erreicht haben und sich ein eigener ­Geschmack entwickelt. Ich war als Kind ja genauso. In der 3. Klasse habe ich noch Kiss gehört, ohne zu wissen warum. Die Band war damals eben angesagt. Alle haben das gehört, also auch ich. Ein paar Jahre später war ich alt genug, um mir meine eigene Meinung zu bilden.

 

Sind denn die neuen, eher deepen Tracks auf »Azphalt Inferno 2« so etwas wie ein kleines Entgegenkommen von dir an die Szene und deren momentanen Geschmack?
Klar, ich wollte mich der neuen Entwicklung anpassen. Ich hab mir gedacht, der Trend geht weg vom Straßenrap, mach doch mal wieder etwas Deepes. Ganz im Ernst: Diese Frage finde ich ein bisschen komisch. Ich mache doch seit Tag eins schon deepe Songs. Nur sieht man das halt nicht so, also klebt man mir ein Etikett auf und steckt mich in eine bestimmte Schublade: Oh, der Typ ist ein Asi, er ist von der Straße und macht ausschließlich harten Straßenrap. Das ist doch völlig oberflächliches Schubladendenken. Ich habe doch schon seit »Napalm« solche Musik gemacht. Und ich lehne mich jetzt mal weit aus dem Fenster: Höchstens Chaker kann mir da noch das Wasser reichen. Was Deepness betrifft, kann er mitreden, da sind wir auf einer Ebene. Er ist ein richtiger Straßenpoet, mit dem ich mich immer gerne austausche, was solche Themen betrifft. Aber sonst kommt niemand an mich ran. Aber das sehen die Leute nicht, weil das Laute und das Harte das etwas Leise überdeckt. Deshalb stecke ich in dieser Schublade fest. Auch wenn ich im April mein zehntes Album veröffentliche, wird sich dieses Denken kaum ändern. Deshalb habe ich die Hoffnung auf einen Sinneswandel komplett aufgegeben. Und deshalb scheiße ich komplett auf die Meinung anderer Leute, weil sie offensichtlich keinen Plan haben.

 

Ich finde nicht, dass diese ­Facette deiner Musik in der ­öffentlichen Wahrnehmung so krass ­ausgeblendet wird.
Ich dachte das auch noch nach dem zweiten oder dritten Album. Nur drehst du dich dann nach zehn Jahren um, schaust dir das Ganze an und stellst fest, dass niemand peilt, welche Facetten meine Kunst hat. Daher glaube ich, dass die Leute das nie peilen werden. Deshalb reagiere ich so genervt auf Kritik. Wenn zum Beispiel jemand sagt, »Assassin« sei kein krasses Album geworden – ganz ehrlich, diese Aussage stecke ich in diese ganz kleine Tasche der Jeans. Das ist doch lächerlich. Das ist, als würde ich zu einem Kung-Fu-Meister gehen und ihm sagen, dass seine Technik schlecht ist, obwohl ich von der Kampfsportart eigentlich keine Ahnung habe. Das wird den auch nicht interessieren. Die Zeit der Bescheidenheit ist vorbei, darauf habe ich keinen Bock mehr – auch wenn es arrogant klingt. Wieso kritisiert man mich, den King des Streetrap, und erzählt mir, »Assassin« wäre nicht das beste Streetrap-Album, das jemals in Deutschland gemacht wurde? Die nächsten zehn bis 20 Jahre toppt diese Platte niemand. Da lege ich mich fest. Kein Mensch kann solche Beats machen wie die Produzenten in meinem Umfeld, kein Mensch kann DJ Rafiks Cuts toppen, keiner wird meine Raps toppen. Daher wandert jede Kritik in die kleine Jeanstasche.

Wie wird denn die Herangehensweise an »Azphalt Inferno 2« sein?
Die Herangehensweise bleibt dieselbe. Seit ein paar Jahren arbeite ich schon nach demselben Muster, nur durch meine Routine hat sich minimal etwas verbessert. Ich bin beispielsweise schneller geworden. In der Regel suche ich Beats und lasse mich von ihnen thematisch leiten. Ich suche einen Beat, der mein Gefühl versteht und lasse mich dann auf ihm aus. Diese Herangehensweise wird auch dieselbe bleiben und nur an wenigen Stellen geringfügig verändert.

Neben Snaga featurest du mit Godsilla noch einen Künstler, mit ­dem man dich bisher noch nie ­zusammen hören konnte.
Godsilla gehört zu den Rappern, die mein Umfeld und ich eigentlich immer gefeiert haben. Es gibt nicht viele Rapper in Deutschland, die sich nicht in unserem Umfeld bewegen und die wir uns anhören können. Aber Silla feiern wir. Wir mögen seinen Style. Als er mit Jeyz gearbeitet hat, habe ich ihn kennen gelernt. Er kam dann zu unserem Konzert in Berlin und die Chemie hat gestimmt. Wir haben den Track jetzt aufgenommen, und das ist ein Highlight der Platte geworden. Ich hoffe, wir legen in Zukunft nach.

 

 


Chaker war ja eine ganze Weile nicht mehr aktiv, ist aber jetzt ­wieder mit von der Partie.

Wir haben uns aus verschiedenen Gründen lange nicht mehr gesehen, aber jetzt ist er wieder am Start, was mich sehr freut. Wir waren für beide Tracks im Studio und die Lieder sind der Knaller geworden. Bei beiden Tracks hätten wir jeweils schon den ersten Take nehmen können. Er ist direkt von null auf 100 durchgestartet und hat zum Glück keine Aufwärmphase gebraucht. Ich kann mit Freude sagen, dass Chaker wieder Lust hat. Wie sehr und wie lange das anhält, weiß man nicht. Ich hoffe natürlich, dass er jetzt wieder länger am Start ist und auch solo wieder Gas gibt. Ich bin bekanntlich ein großer Fan von ihm. Das ist ja auch wieder so ein Ding. Chaker wurde vor allem von irgendwelchen Pfeifen im Internet diskreditiert, was er sich im Gegenteil zu mir immer sehr zu Herzen genommen hat. Der Typ ist der King Kong in Sachen Deepness. Er hat diese Straßenpoesie in Deutschland mit groß gemacht. Jeder, der deepe Tracks macht und einen gewissen Straßenbackground hat, schuldet ihm Dank, weil Chaker für ihn den Weg geebnet hat. Viele haben erst gemerkt, was für ein guter MC er ist, als er sich diese Pause genommen hat.

Haftbefehl hat Chaker als einen seiner Lieblingsrapper bezeichnet.
Da muss ich Haftbefehl danken, dass er dieses Talent erkannt und dieses Statement abgegeben hat. Er ist einer der Ersten, die so etwas sagen und damit vielen anderen weit voraus. Ich habe manchmal das Gefühl, dass ein Fluch auf Bozz und auf Frankfurt liegt. Es gibt hier mehrere Geschichten, die nicht so gut laufen, wie sie müssten. Es gibt hier Künstler, die im Vergleich mit der Konkurrenz im Land überdimensional talentiert sind, aber nicht annähernd dieselbe Anerkennung bekommen. Manchmal glaube ich, die Leute raffen gar nicht, was die Künstler hier können. Sie bemerken zwar was abgeht, aber verstehen nicht, was für Qualität sie geboten bekommen. Das ist, als wenn einer beim Gewichtheben eine Tonne stemmt und alle einfach wegschauen. Ich verstehe nicht, warum ein Jonesmann nicht so erfolgreich ist, warum ein Chaker nicht anerkannt ist, warum Jeyz nicht krasser am Start ist, warum Weltklasse-Produzenten wie Sti und Benny Blanco nicht mehr in den Fokus rücken. Jede zweite Pappnase, die nicht mal annähernd so gut ist, wird krass gehypet und voll das Thema.

Im Internet wurde dir ­vorgeworfen, dass du das Artwork von Mac ­Kregors Album »Catharsis« kopiert hättest.
Ich habe das am Rande mitbekommen, aber wie schon gesagt: Was irgendwelche Halbwissenden behaupten, interessiert mich schon lange nicht mehr. Was geäußert wird, muss ich nachvollziehen können. Das lässt bei mir die Wertschätzung für jemanden, der mich kritisiert oder lobt, sinken oder steigen. Wenn jemand weiß, wovon er spricht, weil er die Materie kennt, weiß ich, dass er sich bis ins Detail hineindenken kann und höre mir seine Einwände gerne an. Ich bin sehr offen für Kritik und sehr ­dankbar, wenn mich Leute kritisieren, die ich selbst bewundere und respektiere. Aber in den meisten Fällen ist das ­leider nicht der Fall.

Du hast »Leben 2« ­angekündigt. Kannst du verstehen, dass ­manche Fans deines Debüts da eine gewisse Skepsis hegen?
Ja, weil es viele Künstler gibt, die ein sehr krasses Album machen, über das sie ein Leben lang nachgedacht und dieses Niveau danach nie mehr erreicht haben. Sie haben mit einer Platte alles gesagt. Bei mir ist das anders. Ich habe eine Geheimformel und weiß, dass ich es schaffen werde. Ich habe »Leben« komplett selbst gemacht. Ich habe es aus meinem Ärmel geschüttelt und nie vergessen, wie es entstanden ist. Man kann davon ausgehen, dass der Nachfolger also kein Abklatsch von »Leben« wird. Es wird nicht komplett so klingen, denn in vielen Punkten habe ich mich verbessert. Daher werde ich mich nicht künstlich zurücknehmen, um dem alten Niveau gerecht zu werden. Ich werde auf jeden Fall besser rappen als auf ­»Leben« und auch an der Produktion wird sich stilistisch etwas ändern.

Was wurde denn aus dem 439-Mixtape? Der Release wurde verschoben, weil mehrere Songs geleakt wurden.
Das ist leider noch nicht ganz klar. Es ist sehr traurig gelaufen. Der Umstand, dass mehrere Songs geleakt wurden, hat die Motivation der Jungs sehr gedämpft. Ich hoffe, dass es aufgelegt wird, aber man muss schauen, ob es sich lohnt, das Tape noch zu releasen. Das muss man zu einem späteren Zeitpunkt besprechen.

Text: Julian Gupta

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